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Nehmt Herrin diesen Kranz - Schacht, A: Nehmt Herrin diesen Kranz

Nehmt Herrin diesen Kranz - Schacht, A: Nehmt Herrin diesen Kranz

Titel: Nehmt Herrin diesen Kranz - Schacht, A: Nehmt Herrin diesen Kranz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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fürchtete ihre Mutter weit mehr als Ivo vom Spiegel. Frau Almut konnte in ihre Seele sehen. Sie wollte, dass ihre Tochter eine ebenso glückliche Ehe führte wie sie selbst. Und da dies nun mal nicht so war, musste Alyss die Türen zu ihrem Inneren verschlossen halten.
    Aber sie hatte die dumpfe Ahnung, dass ihr das nicht immer gelang.
    Die Messe nahm ihren Lauf, und die Jungfern neben ihr zappelten ungeduldig, zupften an ihren Gewändern, Haaren und Chapels. John hielt wie üblich seinen Blick verhangen, schien mit seinen Gedanken aber weit fort zu sein. Marian und Tilo waren die einzigen, die aufmerksam der heiligen Handlung folgten, obwohl Alyss sich bei ihrem Bruder nicht ganz sicher war. Er wirkte zwar fromm und andächtig, aber sie spürte ein leises Vibrieren von ihm ausgehen.
    Hatte er etwas Neues herausgefunden? Erwartete er ein Ungemach? Oder amüsierte er sich über einen ihr nicht bekannten Umstand?
    Endlich waren die letzen Gebete gesprochen, und Alyss trieb ihre kleine Herde aus der Kirche. Das Haus derer vom Spiegel stand nur wenige Schritte entfernt und war schnell erreicht.
    Ihre Eltern empfingen sie im großen Saal im ersten Stock des Patrizierhauses. Noch war das Mahl nicht aufgetragen,
und man fand sich zu schwatzenden Gruppen zusammen. Merten war zu Alyss’ Erleichterung ferngeblieben. Die Kühle zwischen ihm und Marian hatte sie befremdet. Sie und ihr Bruder nahmen John zwischen sich und traten mit ihm zu ihrem Vater, der, in einen langen, silbergrauen Talar gewandet, dem Tuchhändler entgegensah.
    »Herr Vater, Ihr wünschtet Master John of Lynne, Tuchhändler aus London und Falkner, kennenzulernen.«
    »Das wünschte ich. Ich grüße Euch, Falkner.«
    Alyss sog den Atem ein. Ihr Vater hatte die Angewohnheit, Menschen nicht mit Namen oder Titel anzureden, sondern mit ihrer Profession oder Stellung. Dass er den Falkner, nicht den Händler wählte, mochte eine Herausforderung sein.
    »Ich entbiete Euch ebenfalls meinen Gruß, my Lord. Und ich bin mir der Ehre bewusst, heute Euer Gast zu sein.«
    »Haltet Ihr es für eine Ehre oder für eine Prüfung?«
    John grinste.
    »Eine ehrenvolle Prüfung, my Lord.«
    »Ihr habt Euch in der Stadt Freunde gemacht, und Ihr habt einen Mörder gestellt. Das mag für Euch sprechen. Doch mehr wissen wir nicht über Euch, Falkner.«
    »Ich halte es mit Hanna, my Lord, die da sagt: ›Lasst euer großes Rühmen und Trotzen, freches Reden gehe nicht aus eurem Munde; denn der Herr ist ein Gott, der es merkt, und von ihm werden Taten gewogen.‹«
    Des Herrn vom Spiegels linke Braue zog sich in die Höhe, verharrte dort eine Weile, dann sank sie wieder.
    »Man lehrte Euch die Bibel in eigener Zunge?«
    »Unser hochverehrter John Wycliffe, my Lord, übersetzte die Heilige Schrift.«

    »Ich hörte von ihm. Und seinen Lehren.«
    John verneigte sich wortlos.
    »Wer machte Euch vertraut mit ihnen?«
    »Mein Vater, my Lord.«
    »Nicht allen sind diese Lehren angenehm.«
    »Richtig, my Lord. Weshalb mein Vater nun keinen Sohn mehr hat.«
    Kühle graue Augen hielten die eisblauen unter dem verhangenen Blick gefangen. Selbst Alyss spürte Kälte und Entsetzen. Ihr Vater konnte einen Menschen vernichten, zum Wurm machen, Staub fressen lassen.
    Doch was auch immer sich zwischen den beiden Männern in diesem Augenblick des Schweigens abspielte, es führte nicht zur Vernichtung, sondern zu einem selbst für sie schwer zu deutenden Bibelspruch.
    »›Denn der Reiche kommt um durch ein böses Geschick, und wenn er einen Sohn gezeugt hat, dem bleibt nichts in der Hand.‹ So sagt der Prediger«, knurrte Ivo vom Spiegel leise. Und ebenso leise antwortete John: »›Du aber, Herr, bist barmherzig und gnädig, geduldig und von großer Güte und Treue.‹ So heißt es im sechsundachtzigsten Psalm.«zu
    Die grauen Augen gaben die blauen frei, und kleine Fältchen bildeten sich unter den schwarzen Brauen des Herrn.
    »Aber mitnichten, Falkner. Nun, meine Tochter, was hörte ich? Dir ist ein junger Taugenichts entwendet worden?«
    »Ein kleiner Nichtsnutz, ja, doch er scheint von großer Findigkeit zu sein, sich auch seinen Häschern zu entziehen. Wir suchen nach ihm, und letzten Gerüchten zufolge könnte er inzwischen Unterschlupf bei der Bettlergilde gefunden haben. Morgen werden wir weitere Nachforschungen anstellen. Ich
hoffe, der kleine Schalk wird bei ihnen nicht zu Schaden kommen.«
    »Wenn er klug ist. Sein Vater weiß davon?«
    »Niclas Aldenhoven? Ja, er weiß es. Aber

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