Nehmt Herrin diesen Kranz - Schacht, A: Nehmt Herrin diesen Kranz
trugen ihre Pelze zur Schau.
Die Apotheke am Neuen Markt war ein schmalbrüstiges Steinhaus, zu dessen Eingang ein paar Stufen hinaufführten. Dahinter befand sich das höhlenartige Offizin, in dem einst ein enger Freund ihrer Eltern seine Arzneimittel verkauft hatte. Meister Krudener war jedoch verstorben, und nun leiteten seine Witwe Trine und ihr jetziger Gatte das Geschäft.
Ein fröhliches Glockengeklingel ertönte, als sie eintraten, und sofort wurde der schwere Vorhang beiseitegeschoben, der die hinteren Räume von dem Verkaufsbereich trennte.
Meister Jan van Lobeke hatte ein verbindliches Lächeln auf den Lippen, das sich vertiefte, als er Alyss und Lauryn erkannte.
»Seid gegrüßt, meine Lieben. Wollt ihr Arzneien, Süßigkeiten oder Trines Rat?«
»Alles zusammen am besten. Ist Trine da?«
»Sicher. Sie rührt in Tiegeln, destilliert aus meinem Lieblingswein den Alkohol und hat irgendeine stinkende Masse zusammengemischt, von der sie behauptet, sie würde die Krätze heilen. Ich habe hier gar nichts mehr zu kamellen.«
Er führte sie nach hinten in den hellen, luftigen Laborraum, wo tatsächlich die Apothekerin ihr anrüchiges Werk tat. Sie grüßte die Besucher mit einem schnellen Zwinkern über die
Schulter und hantierte dann flink weiter mit Kolben, Flaschen und Töpfen.
»Lasst sie fertig machen, was immer das wird. Ich verdiene schweres Gold damit, also hüte ich ihre Ruhe.«
»Weiß ich doch, Jan. Und stell dein Licht nicht so sehr unter den Scheffel. Du kennst dich mit all dem Arzneikram genauso gut aus wie sie.«
»Na, dein Vertrauen ehrt dich, Alyss. Wen kann ich für euch vergiften?«
»Lauryn, was macht dein Kopf?«
»Ist schon besser, Frau Alyss.«
»Sie hat einen Schlag auf den Schädel bekommen und sich gestern auch noch aufregen müssen. Hast du etwas zur Linderung der Schmerzen für sie?«
»Selbstverständlich. Es schmeckt aber bitter, Lauryn!«
Jan van Lobeke war schon aufgestanden und ließ einige Tropfen einer Tinktur in einen Becher fallen, goss dann etwas Honigwasser darüber und schwenkte es gut.
»Trink, Mädchen. Die Weidenrinde wird den Schmerz dämpfen. So, Alyss, und was noch?«
»Unser Magister Hermanus hat sich erkältet, nun hat er Fieber und sein Hals ist zugeschwollen. Er kann weder sprechen noch essen noch trinken.«
»Schadet nichts.«
»Stimmt. Aber ich kann ihn trotzdem nicht leiden lassen.«
»Nein, das wäre unchristlich. Es hört sich nach entzündeten Mandeln an. Wenn es sehr schlimm ist, sollte er zu einem Bader gehen und sie sich herausschneiden lassen. Eine üble Prozedur, bei der man ordentlich sein eigenes Blut und Eiter schluckt, aber auf die Dauer hilfreich.«
Er beschrieb die Operation vergnüglich, während er eine weitere Tinktur zusammenmischte. Lauryn hörte mit vor Grauen geweiteten Augen zu. Auch Alyss fand lange nicht so viel Vergnügen an der Schilderung wie Jan.
»Aber bevor das Messer zum Einsatz kommt, könnt ihr es hiermit versuchen – überwiegend Eichenrindenextrakt. Er soll damit mehrmals am Tag gurgeln.«
»Wenn er sich weigert, werden wir ihm mit der Extraktion der Mandeln drohen.«
»Deshalb erzählte ich es euch. Ihr werdet ihn zahm wie ein Lämmlein finden.«
Inzwischen hatte Trine beendet, was sie zubereiten wollte, und kam auf Alyss zu. Mit raschen Fingerbewegungen grüßte sie sie und küsste sie auf die Wangen. Auch Lauryn bekam eine herzliche Umarmung, und Alyss, nicht ganz so schnell mit den Fingern, erwiderte ihren Gruß und ihre Fragen.
Trine war von Kindheit an taubstumm.
Sie war einst der Schützling ihrer Mutter gewesen, und sie hatte gelernt, mit den Fingern zu sprechen, eine Sprache, die den Mönchen abgeschaut war, die sich während der Schweigestunden mit Handzeichen verständigten. Doch sie hatte diese Kunst weiter verfeinert, und auch Jan beherrschte diese Form der Unterhaltung inzwischen ausgezeichnet. Alyss und Marian hatten sie schon als Kinder von ihrer Mutter gelernt und zu manch unnützen Zwecken eingesetzt.
Jetzt half Jan bei der Übersetzung, und schon bald war eine eifrige Unterhaltung im Gange. Natürlich erwähnte Alyss auch Kilians Entführung und seine darauf folgenden Umtriebe. Sie hatte sogar große Hoffnung, bei dem Apothekerpaar eine Auskunft zu erhalten, denn Jan und Trine versorgten die
Armen von Sankt Aposteln oft mit kostenlosen Arzneien und beteiligten sich auch an den Brettspenden, den Armenspeisungen, die unter der Aufsicht des Pfarrers stattfanden. Wenn der Junge sich
Weitere Kostenlose Bücher