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Nehmt Herrin diesen Kranz - Schacht, A: Nehmt Herrin diesen Kranz

Nehmt Herrin diesen Kranz - Schacht, A: Nehmt Herrin diesen Kranz

Titel: Nehmt Herrin diesen Kranz - Schacht, A: Nehmt Herrin diesen Kranz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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nie Zeuge seiner scharfrichterlichen Tätigkeit werden würde. Das verboten die Statuten der Gerichtsbarkeit, denn was immer ein Angeklagter gestand, wurde zunächst nur von Greven, Schöffen und Richtern bewertet und drang nicht nach außen.
    Dennoch …
    Im Turm traf er dann auch den Henker und zwei andere, wohlgewandete Herren an, die sich leise berieten. Meister Hans nickte ihm kurz zu und wies auf die schwere Holztür.
    »Versorgt den Delinquenten, Gehilfe!«, lautete seine kurze Anweisung.
    Marian nickte und wappnete sich. Doch als er durch die Tür in den von zwei Kienspänen beleuchteten Kerker trat, schlug ihm der Dunst von Schweiß und Erbrochenem entgegen, schlimmer noch, es hallten die Schreie des Gefolterten noch in seinen Ohren, auch wenn das Bündel Mensch nun stumm auf einer Pritsche lag.
    Es traf ihn wie mit harten Schlägen. Er war unvorbereitet für die Qualen, die hier einem lebenden Wesen zugefügt worden waren, und so senkte sich der Schmerz wie ein Schleier über ihn. Nur mit Mühe konnte er sich aufrecht halten.
    Doch er hatte ein Versprechen gegeben – den Leidenden zu helfen.
    In seiner Not griff Marian zu dem ersten und frühesten Hilferuf, den er gelernt hatte.
    »Heilige Mutter Maria, erhöre mich«, flüsterte er. Und wie benommen setzte er die Litanei fort: »Du schmerzensreiche
Mutter, erhöre mich. Du Vorbild aller Leidenden, erhöre mich. Du Heil der Kranken, steh mir bei. Du Stärke der Kleinmütigen, hilf mir jetzt, meine Pflicht zu tun.«
    Und Maria, die das Flehen des Sohnes ihrer Tochter Almut erhörte, gab ihm Kraft und bannte den Schleier, der ihm das Bewusstsein rauben wollte. Marian wusste, dass ihm nur wenig Zeit verblieb, also machte er sich an die Arbeit. Er renkte Glieder wieder ein, wusch, salbte und verband gequetschtes Fleisch und blutende Wunden.
    Der Mann, ein großer, breitschultriger Kerl mit einer ordentlichen Wampe, ließ es schweigend, manchmal stöhnend geschehen. Seine Haare waren von Schweiß, Blut und Tränen verfilzt, seine Lippen zerbissen, seine Kleider stanken nach Urin. Doch als Marian sein Gesicht mit einem nassen Lappen abwischte, sahen seine Augen ihn wach an.
    »Seid Ihr einer von ihnen?«, fragte er heiser.
    »Nein. Ein Heiler.«
    Leise seufzte der Gefolterte.
    »Ja, Heiler. Ihr habt gute Hände, Herr.«
    »Schweig und lass mich meine Arbeit tun.«
    »Nein, Herr. Ich muss reden. Und Ihr schweigt.«
    Marian, der bemerkte, wie der Nebel zurückzukehren drohte, hatte nicht die Kraft, ihm das Reden zu verbieten.
    »Ich hab es getan, Herr. Ich habe die Pelze verkauft. Aber, Herr, das werde ich nie zugeben. Was immer sie mir antun. Aber Ihr sollt es wissen. Es ist kein Verbrechen, es ist nur Gerechtigkeit. Versteht Ihr? Es war die vierte Fuhre, die ich für ihn gemacht habe. Und jedes Mal hat er mich um einen Teil meines Frachtgelds geprellt. Ich habe mir nur geholt, was mir zusteht, Herr.«

    Vage verstand Marian, was der Mann ihm da erzählte. Jemand hatte ihn angeklagt … Pelze … veruntreute Ware …
    »Warum hast du den Händler nicht beklagt?«, entfuhr es ihm.
    »Würde mir keiner glauben, Houwschild ist ein angesehener Mann. Ich bin nur Fuhrmann.«
    Marian wickelte Leinen um den geschundenen Daumen des Mannes. Der Name Houwschild leuchtete wie ein Flämmchen im Ruß der Lampen in seinem Kopf auf.
    »Wie heißt du?«
    »Janis Fuhrer, Herr.«
    Marian räumte die Tiegel und Verbände in seinen Beutel. Er konnte sich kaum mehr auf den Beinen halten. Erste Fieberschauer durchzitterten ihn, und auf nachgebenden Knien wankte er aus dem Raum. Meister Hans war fort, die beiden Wachen beachteten ihn kaum, und als er auf der Gasse stand, wollte er beinahe an der Wand des Turms zusammensinken. Doch er musste nach Hause.
    Nein, nicht nach Hause. Nur nicht so seinem Vater begegnen, schwach, hilflos.
    Mühsam tastete er sich an der Mauer entlang.
    Zu Alyss. Nein, den langen Weg zur Witschgasse würde er nicht mehr durchstehen.
    Keuchend lehnte er sich wieder an. Ein paar Arbeiter aus dem Hafen gingen an ihm vorbei, einer machte eine zotige Bemerkung über trunkene Herrchen.
    Marian sammelte seine letzten Kräfte. Und schlug, schwankend und taumelnd, den Weg zum Eigelstein ein.
    Er schaffte es bis an die Pforte des Beginenhofs, klopfte und sackte dann zusammen.

    Bevor er das Bewusstsein verlor, hörte er die Pförtnerin nach Catrin rufen.
     
    Er erwachte mit schweren, schmerzenden Gliedern und einer unerträglichen Übelkeit. Noch war es dunkel im Raum,

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