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Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)

Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)

Titel: Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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Mälaren und grün leuchtend hinaus aufs Meer fahren. Die ungewöhnliche Spiegelung der Brücke und dieses Orange, das wie ein mildes Feuer über die leichte Kräuselung der Wasseroberfläche gegossen scheint.

Stockholm. Wenn ich das in meiner Jugend in Århus gewusst hätte. Von Schweden hatte ich nur eine vage Vorstellung. Unbedeutendes Land im Osten, in der Nähe der Sowjetunion. Arbeitsmoral, keine Lebensfreude, zahllose Selbstmörder. Schwedisches Modell, soziale Ingenieurskunst, Stahlindustrie, Autos. Der Kontinent war mir viel näher, Deutschland, Europa. Schweden war Ostblock, das Andere. Als Neutralität verkleidete Feigheit. Stockholm war Moskau näher als Paris.
Dass mein Weg nach Europa eines Tages über Stockholm führen würde, war damals so unvorstellbar. Stockholm. Die schönste Hauptstadt der Welt?
Ach, ich weiß nicht. Aber die Schönheit, die ich jetzt gerade hier vor mir sehe, ist geradezu überwältigend.
Ich hatte bisher in meinem Leben nicht viel für Poesie übrig. Worte, die schön sein wollen. Darin fühlte ich mich nie zu Hause. Worte existieren, um die Wirklichkeit zu beschreiben. Und die Wirklichkeit besteht aus Materie. Materie lässt sich beschreiben – und vor allem lässt sie sich verändern. Etwas anderes als Materie gibt es nicht.
Endorphine erzeugen das Gefühl und Vermögen, Schönheit wahrzunehmen. Die Empfindung von Ausgeglichenheit ist nichts anderes als das richtige Zusammenspiel von Chemikalien im Gehirn. Ab und zu begegnet uns ein konditionierter visueller Stimulus, den wir als Schönheit deuten. Die Chemie im Gehirn wird vorübergehend in Ordnung gebracht. Ich vermute, dass Dichter deshalb auch so häufig die Nähe von Schönheit und Tod betonen. Das Gehirn weiß, dass die Schönheit nur vorübergehend ist. Das Erleben von Schönheit geht einher mit der Erkenntnis, dass sie vergänglich ist. Dass sie sterben wird.
Dichter beschreiben, auf ihre primitive und antiquierte Weise, nichts anderes als chemische Veränderungen in unserem Gehirn.
Ich kann diesen Anblick jeden Tag von meinem Küchenfenster aus genießen. Er ist großartig, hat aber bisher noch nie einen so tiefen Eindruck auf mich gemacht. Mein chemisches Gleichgewicht ist offenbar durcheinandergeraten. »Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen, und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich.«
Rilkes Worte über die Schönheit ergreifen mich immer wieder. Das Schöne ist des Schrecklichen Anfang. Nimmt jetzt das Schreckliche seinen Anfang? Weil ich den Engel heute gesehen habe? Der sich aber noch nicht dazu herabgelassen hat, mich zu vernichten? Aber sein Blick war nicht gnädig. Das letzte Mal habe ich ihn in Chicago gesehen, heute war es auf der anderen Straßenseite des Bergsunds strand.
Ich betrachte die Innenfläche meiner rechten Hand. Die Narbe von dem Schnitt ist noch deutlich zu sehen, als wäre die Lebenslinie durchtrennt worden.
Ich meine, ihn oben auf der Liljeholmsbron stehen zu sehen, mit stolzer Gebärde ans Geländer gelehnt. Er breitet seine schwarzen Flügel aus und beobachtet mich. Sieht zu, wie ich mich angesichts des Todes verhalte. Alles ist Schönheit. Er umhüllt meine Welt mit einer zutiefst schrecklichen Schönheit.
Wir warten auf die Antwort. Ob sich die Probleme mit der Energiedichte, der Reichweite, den Ladezeiten, dem Umwelteinfluss lösen ließen. Ich bin davon überzeugt. Wir haben es geschafft.
Und darum ist auch der Engel hier. Der Todesengel.
Ich werde das Wichtigste auf dem Handy speichern. Das ist das Einzige, was jetzt noch von Bedeutung ist. Ich kann es ja nicht ins Internet stellen, und einen USB-Stick habe ich natürlich auch nicht zu Hause. Das Handy wird meine Lebensversicherung werden.
Allerdings nicht nur meine.
Unsere.
Die des Projekts.
Der Zukunft.
Es ist eine verhältnismäßig einfache Prozedur. Ich werde das gleich morgen früh erledigen. Ich bereite alles vor, stelle mir den Wecker. Aber zuerst muss ich diesen Text hier beenden.
Als ich den Blick hebe und durchs Fenster sehe, ist der Engel verschwunden. Der Abend ist angebrochen, die kurze schwedische Julinacht hat begonnen. Die Liljeholmbucht liegt noch da, die Lampen sind noch da.
Aber die Schönheit ist verschwunden.
Es herrscht ein chemisches Ungleichgewicht in meinem Gehirn.

Die Kanarienvögel
Amsterdam, 5. Juli
    Alles ging seinen gewohnten Gang. Drei Minuten vor zehn fing Vlad an zu gähnen. Ciprian

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