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Nein! Ich geh nicht zum Seniorentreff! - Ironside, V: Nein! Ich geh nicht zum Seniorentreff! - The Virginia Monologues

Titel: Nein! Ich geh nicht zum Seniorentreff! - Ironside, V: Nein! Ich geh nicht zum Seniorentreff! - The Virginia Monologues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virginia Ironside
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eiterbilderei ist: In fortgeschrittenem A lter ist es gar nicht mehr so leicht, noch etwas komplett Neues zu erlernen. Siebenjährige tun sich leicht, Siebzigjährige weniger, deren Gehirnzellen sind nun mal, sagen wir’s offen, schon ein wenig eingerostet. Die Synapsen sind geschrumpft und unsere mentalen Pfade eingetreten wie furchige alte Feldwege. Um bei diesem Bild zu bleiben: Die A ckerkrume unserer Gehirne ist nicht mehr weich, feucht und fruchtbar, sondern trocken, hart und klumpig.
    Natürlich können Sie im Ruhestand etwas beginnen, was Sie noch nie getan haben und Teile Ihres Gehirns zum Einsatz bringen, die bis dato von jedem menschlichen Gedanken verschont geblieben waren. Sie könnten Blues-Pianist werden oder sich mit der chinesischen Porzellanmalerei des 14 . J ahrhunderts befassen. A ber wäre es nicht besser, auf etwas aufzubauen, was Sie schon können, als beispielsweise mittelmäßige A quarelle zu produzieren? Überlegen Sie doch mal: Was haben Sie bereits gelernt, auf dem Sie aufbauen könnten? W elche Hobbys haben Sie früher gepflegt? Haben Sie als junges Mädchen zum Beispiel gerne Ihre Kleider selbst genäht? Das könnten Sie jetzt wieder machen– oder ein verwandtes Gebiet erforschen: stricken, häkeln oder meinetwegen auch Möbel aufpolstern. W äre das nicht sinnvoller, als ganz von vorne anfangen zu müssen, eine im reiferen A lter fast unüberwindlich schwere A ufgabe?
    Im Übrigen sollten Sie Folgendes bedenken: Sie haben nicht mehr viel Zeit. Die meisten, die »ein neues Leben« anfangen wollen, sterben auf halbem W eg zum Ziel. W ie oft habe ich miterleben müssen, dass sich Freunde entschlossen, alle Brücken abzubrechen, sich in Italien einen alten Bauernhof herzurichten und dort ihren Ruhestand zu genießen. A ber erfahrungsgemäß endet ein solches Projekt doch so: Kaum liegt die letzte Schindel auf dem Dach, fällt einer der beiden tot um und lässt den anderen allein zurück, in einem fremden Land, in einem jetzt viel zu großen, fremden Haus, ohne jemanden, mit dem man es teilen kann.
    Kein neues Leben anfangen
    Ich bin vor allem deshalb so dagegen, auf meine alten Tage noch einmal ein neues Leben anzufangen, weil ich im Grunde genau das fast mein ganzes Leben lang versucht habe. In meiner Jugend haben junge Frauen davon geträumt, einen Job als Sekretärin zu bekommen, dann zu heiraten und Kinder zu kriegen. Ich wollte nie Karriere machen– meine Mutter hat damals Karriere gemacht, und ich habe darunter gelitten.
    Ich gestehe, als Zehnjährige davon geträumt zu haben, einmal eine weltberühmte Opernsängerin zu werden (wobei die Betonung auf »weltberühmt« liegt). Ich konnte ganz passabel Klavier spielen, aber keineswegs konzertreif. Doch dann hat mir mein V ater eine alte Schellackplatte mit einer A ufnahme der Glöckchenarie aus Lakmé, gesungen von Lily Pons, geschenkt. Ich war hingerissen. Und nicht nur das, nach einiger Übung gelang es mir, die A rie selbst zu singen, am liebsten natürlich zusammen mit Lily.
    Dann kam das Duett aus La Traviata, und ich fand heraus, dass ich beide Parts mitsingen konnte, die der Frau und die des Mannes. Ich stellte fest, dass meine Stimme eine recht gute Bandbreite hat. Und obwohl ich es nie wagte, um Gesangsstunden zu bitten, sehnte ich mich insgeheim jahrelang danach, Opernsängerin zu werden. (Vor zehn Jahren, mit fünfundfünfzig, habe ich dann tatsächlich einmal eine Gesangsstunde genommen und war am Boden zerstört, als die junge Gesangslehrerin sich keineswegs beeindruckt von meiner Stimme zeigte.)
    Mein ganzes Leben lang wollte ich etwas anderes sein oder tun als das, was ich war oder gerade machte: Journalismus und Schriftstellerei. Mit achtundzwanzig packte mich der Rappel, ich bildete mir ein, unbedingt studieren zu müssen, A kademikerin zu werden. Ich schrieb mich an einer Uni ein, hatte aber im zweiten Semester einen derartigen Nervenzusammenbruch, dass ich von Männern in weißen Kitteln aus der Unibibliothek getragen und in eine Reha-Klinik am Primrose Hill verbracht werden musste.
    Daraufhin setzte ich mir in den Kopf, Lehrerin zu werden. Ich besuchte Kurse und träumte davon, den Journalismus an den Nagel zu hängen und eine Schule zu leiten– wie meine Großtante in den V ierzigerjahren. Nach zehn Tagen Lehrerausbildung habe ich diesen Traum dann an den Nagel gehängt, nicht den Journalismus.
    Vor fünf Jahren, mit sechzig, stellte ich dann fest, dass ich immer noch an meinen alten Kleinmädchenträumen hing.

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