Nein! Ich geh nicht zum Seniorentreff! - Ironside, V: Nein! Ich geh nicht zum Seniorentreff! - The Virginia Monologues
W enn die Leute mich fragten, was ich von Beruf sei, antwortete ich zwar, dass ich bei der Zeitung arbeite, dass ich Journalistin sei– wahlweise sagte ich auch Kummerkastentante oder Schriftstellerin. A ber ich habe es nie wirklich geglaubt. Mit sechzig blickte ich jedoch auf mein Leben zurück und stellte fest, dass ich Tausende und A bertausende von W orten geschrieben, über ein Dutzend Kolumnen für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften produziert und mehr als fünfzehn Bücher verfasst habe.
Kann es sein, dass ich in all der Zeit, in der ich von einem anderen Beruf, einem anderen Lebensweg geträumt habe, in W irklichkeit Schriftstellerin war ? Eine wirkliche, echte Schriftstellerin? Keine, die nur so tut, als ob?
Erst jetzt wird mir klar, dass ich genau das bin, was ich immer sein wollte, dass ich genau das tue, was ich am besten kann. Und mit dieser Erkenntnis fällt mir die Last der Schuldgefühle, meine Träume nicht verwirklicht zu haben, polternd von den Schultern. Sie können sich nicht vorstellen, wie erleichternd, wie befreiend das ist. Ich weiß jetzt, wer ich bin. Oder besser gesagt, was ich bin. Endlich. Jetzt werde ich nichts mehr ändern. Glauben Sie mir, es ist ungleich erfüllender, mit seinem alten Leben ins Reine zu kommen, als ein ganz neues zu beginnen.
Einen Erste-Hilfe-Kurs machen
Sie halten das für einen W itz? A ber bedenken Sie eins: Je älter wir werden, desto kränker werden wir auch. W äre es da nicht nett, wenn man in der Lage wäre, einem guten alten Freund beispringen zu können, wenn er einen Schlaganfall erleidet? Oder sich nicht mehr aus der W anne hieven kann oder an einer Fischgräte zu ersticken droht oder über Lähmungserscheinungen im linken A rm klagt? W ir könnten ihn dank unseres Fachwissens und unserer praktischen Kenntnisse vor dem sicheren Tod bewahren. W er weiß, vielleicht haben wir sogar Glück und sind zur Stelle, wenn jemand im Bekanntenkreis einen klassischen Schwächeanfall erleidet (siehe » Zipperlein«). W ürde man nicht als Held des Tages gefeiert werden, wenn man wüsste, in welche Stellung man den Betreffenden zu bringen hätte? Oder wenn man gar mit einem ganz normalen Kuli einen Luftröhrenschnitt vornehmen könnte?
Das Erbe der Kinder verprassen
Warum sollte man sich im A lter nicht ein schönes Leben machen? Da hat man sein Leben lang gespart und jeden Pfennig umgedreht, um es später einmal gut zu haben, und all das soll man dann den Kindern hinterlassen? Sie entschuldigen, wenn ich missbilligend die Lippen zusammenkneife, aber so ein schönes Leben kommt für mich nicht infrage. Ist nicht gerade ein hübscher Sack Geld das, was einen ein wenig über den V erlust eines Elternteils hinwegtröstet? Obwohl, wenn man Eltern von der Sorte hat, die sich von ihrem Geld ein schönes Leben machen, wird man sie nach dem Tode höchstwahrscheinlich nicht allzu sehr vermissen. Ich selbst würde von so einem Kurs abraten. Ich ziehe es vor, für das Erbe meiner Kinder zu sparen und mir auszumalen, welch großartige Imperien sie auf meiner bescheidenen Hinterlassenschaft errichten werden.
Aber ich bin nun mal ein netter, freigebiger und verantwortungsbewusster Mensch, ich kann nicht anders.
Ahnenforschung
Wenn ich anfangen würde, all meine alten Fotos in A lben einzusortieren, wäre ich nach einem Jahr noch nicht fertig (aber für so etwas habe ich ohnehin keine Zeit, Sie wissen ja, Rentnerstress…). A ber es gibt alte Leutchen, die ganz wild darauf sind, ihre Familiengeschichte zu erforschen.
Und ein solch uferloses Unternehmen kann so viel Zeit in A nspruch nehmen, wie Sie gewillt sind, dafür hinzugeben. Ich habe Freunde, die so begeistert über die Entdeckung sind, dass irgendwelche Familienmitglieder im 15. Jahrhundert Messerschleifer waren oder im 16. Butler, dass sie sogar an den W ochenenden nicht aufhören können, über Dokumenten zu sitzen (nur um V orfahren zu entdecken, die, ehrlich gesagt, genauso langweilig zu sein scheinen wie sie selbst).
Neulich hat mich eine Freundin angerufen und gefragt, ob sie kurz vorbeikommen könne, denn sie habe mir was A ufregendes zu erzählen. Ich sagte, klar, und bot ihr, als sie ankam, einen Kaffee an, schwatzte kurz über dies und das und beugte mich dann interessiert vor, ganz wild darauf, den neuesten Klatsch zu erfahren.
» Du wirst es mir nicht glauben«, sagte sie atemlos, » aber ich habe gerade rausgefunden, dass meine Ururgroßmutter in einem Dorf in Lincolnshire gelebt hat und
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