Nein! Ich möchte keine Kaffeefahrt!
muss wohl das gesamte Blut erst mal in den Magen fließen, um die Speisen zu verdauen, und kann deshalb nicht dafür sorgen, dass man wach bleibt. Ich wache dann mitten in der Nacht auf (zum Beispiel um 03:15, einer entsetzlichen Uhrzeit), als hätte mir ein Grauen erregendes Sorgenmonster auf die Schulter geklopft, und wenn ich dieAugen aufschlage und panisch ins Dunkle starre, brüllt es wie einWachmann, der einen Sträfling anschreit: » Aufwachen, Marie! Sorgenzeit! « Worauf ich die nächste Stunde damit zubringe, mir über die nichtigsten Kleinigkeiten Sorgen zu machen.
Bin schließlich aufgestanden und hinuntergegangen und habe ein großes GlasWein mit einer Pille runtergespült (oder umgekehrt), was keine gute Idee war, weil ich heute Früh mit rasendem Durst aufgewacht bin und man mir gesagt hatte, dass ich vor der OP nichts mehr trinken darf.
Bin dann überAnna K. eingeschlafen. Ich glaube, ich geb’s auf damit. Komme einfach nicht rein, obwohl ich das halbe Buch schon durchhabe.Tolstoi war ein grässlicher Bursche.
Mittags
Bin jetzt in der Klinik. Habe den Laptop mitgenommen, für den Fall, dass mir langweilig wird. Haha. Liege hechelnd auf dem Bett wie so eine Comicfigur, die auf der Suche nachWasser durch dieWüste kriecht. Schreckliches Zimmer mit blassrosaWänden, eng wie eine Gefängniszelle, brütend heiß.Abschließbarer Nachttisch, Fenster kann man nicht öffnen,Ausblick auf Parkplatz, ein Stuhl für Besucher. Fernseher mit einer langen Stange an derWand befestigt. Gegenüber etwas, das ich für den Schrank hielt, aber tatsächlich ist es eine winzige Nasszelle mit Klo. So viel zumThema spartanisch.
Und aus irgendeinem Grund hat man mich gezwungen, ein Krankenhaushemd anzuziehen, so ein demütigendes blauesTeil, das hinten offen ist.Wenn man damit ohne Morgenmantel herumläuft, kann jeder den Hintern sehen.
Habe mich wohl gleich ganz schlecht benommen. Ich hatte furchtbareAngst, und dann kam Mr P herein, immer noch mit Fliege unter seinem grünen OP -Kittel, und fing an, blaue Linien auf mein Gesicht zu zeichnen.Als wäre er ein Maler, der mein Porträt nicht auf eine Leinwand, sondern auf mein Gesicht malt.Als er sich zum Gehen wandte– vermutlich, um auf den Gesichtern anderer Frauen weiterzumalen–, wurde ich plötzlich wütend und sagte, ich wolle nach Hause und was trinken.Wie ein Kind, das in der Schule einenAufstand macht! Komplett plemplem! Mir grauste wahrscheinlich. Ist immer noch so. Mr P schaute mich entsetzt an, weil mirTränen übers Gesicht rannen, die seine blauen Linien verschmierten. Er rannte hinaus und kehrte in Begleitung desAnästhesisten zurück. Ich war inzwischen aufgestanden und packte meine Sachen.
» Na, na, Mrs Sharp « , sagte derAnästhesist, legte mir denArm um die Schultern und führte mich zum Bett zurück. » Lassen Sie uns in Ruhe darüber sprechen. « Ich schluchzte und jammerte, und er sagte: » Ich glaube, Sie haben einfach großeAngst, das geht vielen Menschen so vor einer Operation.Trinken Sie doch einfach ein GlasWasser « (warum nicht gleich so?), » und dann gebe ich Ihnen eine kleine Spritze.Wenn es Ihnen dann immer noch schlecht geht, rufen wir Ihnen einTaxi, das Sie nach Hause bringt. «
Weiß der Himmel, was in dieser Spritze war, aber jetzt bin ich so wohlig müde und entspannt und glücklich, dass ich mich liebend gerne tagtäglich liften lassen würde. Frage mich, ob man sich auf Heroin so fühlt.
22. Juni
Liebe Güte! Da sitze ich nun und warte darauf, dass James mich abholt. Es hört sich feige an, ich weiß, aber ich wage es tatsächlich nicht, in den Spiegel zu schauen.Wie bei der Frau imWartezimmer neulich hängen an beiden Seiten meines Gesichts sonderbare Schläuche mit einerArt kleinen Eimern am Ende, in denen sich Blut befindet. Mr P schaute heute Morgen vorbei und sagte, alles sei gut verlaufen, doch ich müsse die nächstenWochen im Sitzen schlafen. Na prima! So etwas sagen sie einem nie, bevor man sich unters Messer legt. Dann fügte er hinzu, meineWangen könnten sich einige Monate lang taub anfühlen, aber dieses Gefühl würde wieder verschwinden– also das Gefühl, nichts zu fühlen. Noch eine verblüffende Information, die man mir vorenthalten hat. Und schließlich sagte er: » Ich habe eine gewaltige Menge Fleisch von IhrenAugenlidern entfernt und bin sehr zufrieden mit meinerArbeit. Ich denke, Sie werden auch zufrieden sein. «
» Es wird doch hoffentlich nicht zu sehr auffallen, oder? « , fragte ich. Unglaublich.
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