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Nekropole (German Edition)

Nekropole (German Edition)

Titel: Nekropole (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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obwohl er wusste, dass er sich nur noch mehr Schmerz zufügen konnte, wenn er sie berührte.
    »Was bedeutet das?«, stammelte Hasan. Fast wimmerte er es. »Ali! Was geht hier vor?!«
    Andrej presste die Kiefer so fest aufeinander, dass es wehtat. Das uralte Holz unter seinen Füßen hatte längst aufgehört zu zittern, aber er hatte trotzdem das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren – oder den Halt in der Wirklichkeit, falls da überhaupt ein Unterschied war. Hasan sagte noch irgendetwas, doch er vermochte den Worten keine Bedeutung zuzuordnen. Alles drehte sich um ihn. Er hätte sich gerne eingeredet, dass er dabei war, den Verstand zu verlieren, aber das konnte er nicht, denn er wusste, dass es in Wahrheit etwas unendlich viel Schlimmeres war.
    »Ein Seil!«, befahl Hasan scharf. Panik lag in seiner Stimme. »Bringt ein Seil! Jemand muss sie suchen!«
    Unverzüglich brach überall um ihn herum hektische Aktivität aus, doch Andrej hatte Mühe, nicht hysterisch loszulachen, während sich zugleich Angst in ihm breitzumachen begann. Hatte Hasan jetzt endgültig den Verstand verloren? Ayla war in Gefahr, wer brauchte da ein
Seil?
    Noch in der Hocke schnellte Andrej vor und unter Abu Duns – viel zu spät – zupackender Hand hindurch, bevor er sich einfach in die bodenlose Tiefe fallen ließ.
    Sie war nicht ganz so tief, wie es den Anschein gehabt hatte, und schon gar nicht bodenlos. Statt auf den Füßen oder auf Händen und Knien zu landen schlug er viel früher als erwartet und so hart auf, dass er unwillkürlich einen keuchenden Schrei ausstieß, als ihm die Luft aus der Lunge gepresst wurde. Erneut wurde alles um ihn herum dunkel.
    Zwei oder drei Atemzüge, nachdem er die Bewusstlosigkeit zurückgedrängt hatte, starrte er seinen rechten Unterarm an – genauer gesagt den blutigen Metallstumpf, der sich durch sein Fleisch gebohrt hatte und rot und triefend daraus emporragte. Er wartete auf den Schmerz, der doch eigentlich kommen sollte, jetzt, wo er die üble Verletzung sah, spürte aber nach wie vor nichts außer einer fast schon angenehmen Taubheit.
    »Alles in Ordnung dort unten?«
    Abu Duns Stimme klang nicht so, als stellte er diese Frage zum ersten Mal, und auch Andrej benötigte zwei oder drei Anläufe, bevor er etwas darauf krächzen konnte, dass Abu Dun zwar bestimmt nicht verstand, ihm aber zu genügen schien.
    »Wie sieht es dort unten aus?«
    Andrej sah sich um. »Links von mir.«
    Mehr musste Abu Dun wohl nicht hören, denn er sprang ohne ein weiteres Wort zu ihm herab und landete nur eine Handbreit neben ihm auf dem Boden, mit einer Eleganz, für die allein Andrej ihm am liebsten den Hals umgedreht hätte, wenngleich mit solcher Wucht, dass sich ein Sturzbach winziger Steine und Zementbröckchen von der Decke ergoss.
    »Alles in Ordnung?«, fragte er noch einmal und jetzt in leiserem und besorgtem Tonfall.
    Andrej konnte zur Antwort nur nicken, denn sein durchbohrter Arm brachte sich nun doch auf genau die Art in Erinnerung, die er befürchtet hatte. Abu Dun schürzte fast verächtlich die Lippen und beugte sich vor, um nach Andrejs Arm zu greifen und ihn festzuhalten. Die eiserne Hand schloss er um das rostige Metallstück, das sich tief in ihn gebohrt hatte.
    »Das wird jetzt wehtun«, sagte er.
    Womit er recht hatte.
    Wieder machte die Zeit einen Sprung, und als Andrej die Augen erneut aufschlug und sich die roten und schwarzen Schleier lichteten, fragte er sich, ob er geschrien hatte, konnte sich aber nicht erinnern und hoffte zumindest, es nicht getan zu haben.
    Abu Dun machte sich noch immer irgendwo in der Dunkelheit neben ihm zu schaffen, aber er konnte sonderbarerweise noch immer nicht viel erkennen. Sein Arm pochte, doch der Schmerz klang schon wieder ab, und auch die Wunde blutete nicht mehr. In dieser Hinsicht erwies sich sein Körper als so zäh und nahezu unzerstörbar wie immer. Aber seine Sinne schienen sich an-, und abzumelden, wie es ihnen gerade gefiel. Im Augenblick sah er nicht mehr, als jeder normale Sterbliche es hier unten getan hätte – was bedeutete, dass er für seine Verhältnisse praktisch blind war.
    Immerhin blieb ihm noch sein Gehör. Abu Dun und er waren nicht allein in dieser heimtückischen Fallgrube. Irgendwo neben ihm waren schwere Atemzüge, und einmal darauf aufmerksam geworden, spürte er auch den Schmerz desjenigen, der dort lag, zu seinem nicht geringen Erstaunen aber nicht das Bedürfnis, sich daran zu laben, obwohl diese Köstlichkeit doch

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