Nekropole (German Edition)
Tausende gestorben, nur, um den Blutdurst der Menschen zu stillen. Und in diesen finsteren Kammern haben die armen Seelen ihre letzten Stunden verbracht, allein und voller Angst, bevor sie das letzte Mal die Sonne sehen durften, um zur Belustigung der Massen geschlachtet zu werden oder andere zu schlachten.«
»Eine interessante Geschichte«, sagte Abu Dun. »Und was sagt dein Gott dazu, ehrwürdiger Vater?«
»Es ist auch dein Gott, mein Freund«, belehrte ihn Hasan. »Es ist immer derselbe, auch wenn die Menschen ihn unter vielen Namen kennen.«
»Aber verbietet er nicht das Töten? Gleich unter welchen Umständen … und welchem Namen?«
Andrej hörte nicht mehr hin. Wenn Abu Dun einmal so anfing, dann konnte es lange dauern, bis er wieder aufhörte, und er hatte ein besonderes Talent, sich die unpassendsten Momente dafür auszusuchen.
Er hob ein durch die lange Zeit bereits halb versteinertes Stück Holz auf und ging zu dem Assassinen mit der Fackel, um es daran in Brand zu setzen und die Schatten weiter zurückzutreiben. Er versuchte, sich einzureden, dass er es nur tat, um sich einen besseren Überblick über seine Umgebung zu verschaffen, aber die Wahrheit war viel simpler: Zum allerersten Mal im Leben hatte er Angst vor der Dunkelheit.
Was das rote Licht enthüllte, das trug nicht unbedingt zu seiner Beruhigung bei. Kasim und er hatten großes Glück gehabt, praktisch nebeneinander auf die einzige freie Stelle zu fallen. Der Boden war übersät mit Trümmern und Schutt und uralten rostigen Metallteilen, von denen das, das seinen Arm durchbohrt hatte, noch das Harmloseste war.
Das war kein Zufall. Vieles von dem, was er sah, war bis zur Unkenntlichkeit verrostet und zu bizarrer Form verkrümmt, sodass es eher abstoßenden Gewächsen ähnelte als etwas von Menschenhand Erschaffenem. Aber Andrej erkannte auch eine große Anzahl Waffen, ebenfalls uralt und zum Teil stark verbogen, wie sie die Gladiatoren vor mehr als einem Jahrtausend benutzt haben mochten. Die Kammer musste einst winzig gewesen sein, das fensterlose Grab, von dem Hasan gerade gesprochen hatte. Doch nun waren die Wände zum Großteil niedergebrochen, sodass man erkennen konnte, dass dies nur Teil eines regelrechten Labyrinths war, das sich unter der gesamten Arena erstreckte.
»Beeindruckend, nicht?« Abu Dun trat so schwungvoll neben ihn, dass der Luftzug um ein Haar Andrejs improvisierte Fackel zum Erlöschen gebracht hätte. »Ich bin immer wieder erstaunt, was für gewaltige Leistungen deine Vorfahren vollbracht haben, nur, um sich gegenseitig umzubringen … oder die, die sich nicht gegen sie wehren konnten.«
»Das waren nicht meine Vorfahren«, sagte Andrej. Es fiel ihm schwer, sich auf Abu Duns Worte zu konzentrieren. Mit der zusätzlichen Fackel hatte er die Dunkelheit zurückgetrieben, aber das, was sich darin verbarg, was ihm solche Furcht einjagte, war noch immer da.
»Waren es nicht?«, fragte Abu Dun.
»Ich bin kein Römer, sondern komme aus Siebenbürgen«, antwortete Andrej. Als ob dieser dumme Nubier das nicht wüsste!
Vielleicht hatte seine Unruhe ja mit dem zu tun, was Hasan gerade erzählt hatte. Tausende waren hier gestorben, nicht durch einen Unfall oder eine schreckliche Katastrophe, nicht während einer Schlacht, sondern durch Akte unvorstellbarer Barbarei, Tausende und Abertausende grausamer Morde, jeder Einzelne so sinnlos, wie es der Tod eines Menschen nur sein konnte. Vielleicht hatten diese Mauern und Balken ja das Leid all dieser zahllosen Getöteten aufgesogen, um ihre Verzweiflung und ungehörten Schreie für alle Zeiten zu bewahren.
»Siebenbürgen«, wiederholte Abu Dun gespielt nachdenklich. »Manche nennen es auch Rumänien, nicht wahr? Sogar die meisten, wenn ich es mir genau überlege.«
»Und?«
Abu Dun tat weiter so, als zermarterte er sich das Hirn und müsste um jedes einzelne Wort ringen, das über seine Lippen kam. »Weißt du, woher der Name kommt?«
Andrej wusste es, antwortete aber trotzdem: »Nein. Aber du wirst es mir gleich sagen. Ob ich will oder nicht.« Etwas kratzte an seiner Seele, etwas Verdorbenes und Uraltes. Obwohl er spürte, wie stark es war, bereitete es ihm keine Mühe, es nicht einzulassen. Trotzdem erschrak er bis ins Mark. Er hatte keine Angst, er könnte irgendwann schwach werden. Er hatte Angst, es hereinlassen zu
wollen
.
»Es war die letzte Eroberung deiner Vorväter«, dozierte Abu Dun. »Die letzte Kolonie, weißt du? Das neue Rom
. Romania.
«
»Du bist
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