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Nekropole (German Edition)

Nekropole (German Edition)

Titel: Nekropole (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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zurück.
    »Willst du dir den Hals brechen?«, fragte er. »Hier ist alles voller Trümmer und Fallen!«
    »Ich muss Ayla finden!« Hasan versuchte sich loszureißen. »Sie ist –«
    »Er hat recht, Herr«, unterbrach ihn Ali, der unmittelbar hinter ihm den Balken heruntergerutscht kam und seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen alles andere als begeistert davon war, dass Hasan sich vorgedrängt hatte. »Wir brauchen Licht, und wir müssen wissen, was zum Teufel das hier überhaupt
ist!«
    Hasan setzte zu einer ärgerlichen Antwort an, schüttelte dann jedoch nur den Kopf und ließ sich neben Kasim in die Hocke sinken. Seine Kniegelenke knackten in der Weite des dunklen Raumes wie zerbrechender Reisig. Kasim schien seine Nähe zu spüren, denn er hob mühsam den Kopf und versuchte sich aufzusetzen. Erst jetzt roch Andrej das Blut und sah die rote Nässe auf seinem Gesicht. Im ersten Moment erschrak er, als wieder Gier in ihm erwachte, dann noch einmal und noch mehr, als er die klaffende Wunde auf Kasims Stirn sah.
    »Es war … nicht meine Schuld«, begann Kasim stockend. »Ich habe es … versucht, aber ich … ich war nicht schnell genug. Ich –«
    »Beruhige dich, mein Sohn«, unterbrach ihn Hasan. Seine Panik war von einem Lidschlag auf den anderen fort, als er wieder in die Rolle des Zuhörers und Trostspenders schlüpfte, die er so lange gelebt hatte. »Was ist geschehen? Erzähl.«
    »Es war nicht … nicht meine … Schuld, Herr«, stammelte Kasim. Er versuchte zum zweiten Mal, sich aufzusetzen, und schaffte es erst, als Hasan die Hand ausstreckte und ihm half. »Es ging alles so schnell, und … und …«
    Seine Stimme versagte. Der Moment gewann noch einmal an Unheimlichkeit, als einer der Männer eine Fackel entzündete und sich das flackernde rote Licht mit dem Blut auf seinem Gesicht vermengte und ihn zu etwas anderem zu machen schien.
    »Haben sie dich gebissen?«, fragte Ali.
    Kasim schüttelte so erschrocken den Kopf, dass die Behauptung schon allein dadurch ein gutes Stück Glaubwürdigkeit verlor. »Nein!«, stieß er hervor. »Ich bin gestürzt. Es ging alles so schnell … ich … ich erinnere mich nicht.«
    Andrej lauschte in ihn hinein und spürte, dass das die Wahrheit war – oder wenigstens das, was Kasim für die Wahrheit hielt. Er war so verwirrt, dass es Andrej fast körperliches Unbehagen bereitete, seine Gefühle zu erforschen. Da waren süße Furcht und grenzenlose Scham, seinen Herrn enttäuscht und versagt zu haben, banaler körperlicher Schmerz und die verzweifelte Sorge um das Mädchen, das er auf seine ganz eigene Art mit derselben Inbrunst liebte, wie Hasan es tat. Aber darunter, tief unter all diesen Köstlichkeiten und Lockungen verborgen, war noch etwas, etwas Dunkles und Übles, wie eine winzige, aber bereits schwärende Wunde auf einem ansonsten makellosen Körper, noch zu klein, um sie zu sehen, aber auch nicht mehr klein genug, um sie nicht wahrnehmen zu können.
    Etwas, das er kannte.
    »Es ist nicht so, wie du glaubst, Andrej. Er sagt die Wahrheit. Sie haben ihn nicht verletzt.« Erst mit dem letzten Wort begriff Andrej, dass Hasan sich an ihn richtete. Offenbar hatte der vermeintliche Alte vom Berge in seinem Blick gelesen.
    »Was habt ihr getan?«, fragte er und gab sich keine Mühe, seine Stimme weniger drohend klingen zu lassen.
    »Was nötig war«, antwortete Kasim, noch bevor Hasan es tun konnte. »Ich finde sie wieder. Ich kann das. Gebt mir nur einen Moment, um … zu Kräften zu kommen.«
    Hasan stand mit einer Bewegung auf, die seine scheinbare Gebrechlichkeit Lügen strafte, und winkte einen seiner Assassinen heran. »Versorgt seine Wunde. Und säubert ihn. Das Blut könnte sie anlocken.«
    Andrej tauschte einen überraschten Blick mit Abu Dun. Auch Ali sah fast erschrocken aus – als wäre Hasan etwas entschlüpft, das er besser nicht ausgesprochen hätte.
    »Es ist nicht schlimm«, behauptete Kasim, doch in einem Ton, der wenig überzeugend klang. Natürlich ließ sich der Assassine nicht davon abhalten, neben ihm in die Hocke zu sinken und kurzerhand auf einen Zipfel seines Mantels zu spucken, um damit anschließend sein Gesicht zu säubern. Abu Dun grinste schadenfroh, sparte sich aber jeden Kommentar und wandte sich wieder an Hasan: »Was ist das hier überhaupt?«
    »Die Arena«, antwortete Hasan, was Andrej erstaunte. Als Ali gerade dieselbe Frage gestellt hatte, hatte er sie ignoriert. Er wies mit dem Kopf nach oben. »Auf diesem Boden sind

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