Nekropole (German Edition)
Anstands und der Gerechtigkeit. Ayla weiß es tief in ihrem Herzen, und auch du wirst es bald verstehen, Andrej.«
»Ich werde dich allerhöchstens …«, begann Andrej und biss dann mit einem Keuchen die Zähne zusammen, um nicht vor Schmerz aufzuschreien, als Abu Dun ihn ohne viel Federlesens auf die Füße und ein paar Schritte weit hinter sich her zerrte, während Clemens zusammen mit Kasim in der Dunkelheit verschwand. Andrej war froh, als weder Ali noch Abu Dun Anstalten machten, den beiden Männern zu folgen. Er wollte nicht zurück in diesen grässlichen Raum. Etwas unvorstellbar Gefährliches wartete dort auf sie. Etwas, das Ayla bedrohte.
Er versuchte, Abu Duns Griff zu sprengen, handelte sich aber nur eine derbe Kopfnuss des Nubiers ein, die ihm zwar nicht die Besinnung raubte, ihn aber jeden Gedanken an Widerstand aufgeben ließ. Was immer auch mit ihm los war, Abu Dun spürte seine Schwäche und nutzte sie aus. Wahrscheinlich würde er ihm die nächsten fünfzig Jahre damit in den Ohren liegen, dass er ihm heute endgültig bewiesen hatte, wer der Stärkere von ihnen war.
Falls sie die nächsten fünfzig Minuten überlebten.
Abu Dun gab seine Hand frei, ließ aber allein durch seine Haltung nicht den mindesten Zweifel daran aufkommen, dass er nur auf einen Vorwand wartete, wieder zuzugreifen und ihm auch wirklich wehzutun, wenn es sein musste.
Andrej hatte nicht vor, ihm diesen Vorwand zu liefern.
Als er sich fast den Hals verdrehte, um nach Ayla zu sehen, machte Abu Dun einen halben Schritt zur Seite und vertrat ihm den Blick.
Und das war zu viel.
Egal, ob sie Freunde waren oder nicht, oder ob sie es nach diesem Tag noch sein würden, er musste zu Ayla, um sie zu beschützen, und Abu Dun stand zwischen ihr und ihnen, und das war alles was zählte
. Andrej sprang auf und fand sich schon im nächsten Moment – oder auch einige Momente später, da war er nicht ganz sicher – auf Händen und Knien und mit dröhnendem Schädel wieder. Er hatte nicht einmal gemerkt, was der Nubier getan hatte.
»Ich würde dir ungern wehtun, Hexenmeister«, sagte Abu Dun ernst, »aber ich werde es, wenn du mich dazu zwingst. Du kennst mich, also tust du besser daran, mir zu glauben. Ich will es nicht, aber wenn du mir keine andere Wahl lässt, dann tue ich es.«
Andrej glaubte ihm jedes Wort. Schließlich kannte er den nubischen Riesen gut genug. Er verstand es nur nicht. Und da er auch nicht verstand, was er sagen sollte, um Abu Dun keinen Vorwand zu liefern, erneut auf ihn loszugehen und seinen Worten Taten folgen zu lassen, sagte er vorsichtshalber gar nichts, sondern stand behutsam abermals auf und wich die beiden Schritte vor ihm zurück, die ihm die Wand hinter ihm Platz ließ. Abu Dun rührte sich nicht, und es war Andrej nicht möglich, in seinem Gesicht zu lesen. Doch immerhin konnte er jetzt Ayla sehen.
Alis linke Hand lag noch auf ihrer Schulter, und es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass sie sich sehr unwohl in ihrer Haut fühlte. Aber sie schien unverletzt zu sein. Sein Verstand sagte ihm, dass das nicht mehr lange so bleiben würde, wenn er sich weiter so närrisch benahm, aber welche Rolle spielte Logik jetzt schon noch, wenn es um Aylas Wohl ging?
Mit einem knappen Nicken bedeutete er Abu Dun, dass er vernünftig sein würde. Doch er fragte sich, wie es ihm gelingen sollte, es mit Abu Dun und dem Assassinen-Hauptmann gleichzeitig aufzunehmen, und das, ohne Ayla in Gefahr zu bringen. Seine Aussichten standen denkbar schlecht, aber hätte er jedes Mal, wenn er einen aussichtslosen Kampf gewonnen hatte, ein Goldstück bekommen, dann wäre er wohl längst ein sehr reicher Mann.
Unauffällig verlagerte er sein Körpergewicht, um im Notfall festen Stand für einen gezielten Tritt gegen Abu Duns Kehle zu haben. Der Nubier verzog verächtlich die Lippen. »Versuch es erst gar nicht.«
Offensichtlich war es doch nicht unauffällig gewesen.
»Wenn ihr beiden überschüssige Kräfte habt, dann helft mir, die Soldaten aufzuhalten«, sagte Ali. »Wir brauchen einige Minuten. Nicht viele, aber in dieser Zeit darf niemand hier hereinkommen. Und denkt daran: Ihr dürft auf keinen Fall …«
»… jemanden töten, weil er dann augenblicklich verrotten und über uns herfallen würde«, fiel ihm Abu Dun ins Wort. »Ja, es sind schon wirklich lustige Zeiten!«
Andrej sah Ayla an, und obwohl sie nicht einmal in seine Richtung sah, schien sie seinen Blick zu spüren, denn sie drehte den Kopf und musterte ihn
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