Nekropole (German Edition)
hatte, zählten nicht. Aber sein Fuß brannte mittlerweile, als stünde er in Flammen, und er fühlte sich schwach wie nach einem vierwöchigen Krankenlager, von dem er sich zum ersten Mal wieder erhob. Ganz davon abgesehen, dass ihn die Angst um Ayla schier in den Wahnsinn trieb.
Lag es an diesem Ort oder an etwas, das hier war – oder eben gerade
nicht
hier war – und ihm die Kraft und jegliches Interesse an seinem eigenen Leben raubte?
Die gestaltlose Furcht wurde so übermächtig, dass er trotz seiner Erschöpfung weiterging und sich beherrschen musste, um nicht aus der unheimlichen Halle zu fliehen. Sein Herz raste, er konnte nur noch an sie denken, an Ayla, die dort vorne irgendwo war und beschützt werden musste, von ihm und vor allem.
Der Tunnel war so geschickt angelegt, dass er von draußen sehr viel länger ausgesehen hatte, als er war. Nach kaum zwanzig Schritten erreichte er das Gitter und sah schon auf halbem Wege, was Kasim gemeint hatte: einen schlichten Hebel, der gute drei Meter hinter dem Tor aus der Wand ragte und in einem Winkel angebracht war, der es so gut wie unmöglich machte, zum Beispiel ein Seil durch das Gitter zu werfen, um ihn von außen zu betätigen. Ohne langsamer zu werden rannte er dorthin und zog ihn mit aller Kraft. Ein schweres, rostiges Rasseln erklang.
Andrej wusste nicht, was er erwartet hatte, aber weder sprang das Tor wie von Geisterhand bewegt auf, noch fiel ihm der gesamte Vatikan auf den Kopf. Es geschah gar nichts. Nicht einmal, als er das Tor erreichte und mit beiden Händen an den rostigen Gitterstäben zu rütteln begann. Wo war Ayla?
Als er das Mädchen neben Abu Dun entdeckte, atmete er erleichtert auf, doch dann ergriff ihn erneut die kalte Wut, als er sah, wie unsanft der Nubier Ayla in die Arme des nächststehenden Assassinen stieß und auf ihn zueilte. »Schnell, Hexenmeister«, brüllte er. »Sie kommen!«
Doch Andrej hörte ihn kaum.
Dieser verdammte Narr hatte Ayla wehgetan, und wenn er ihm überhaupt half, dann nur, um ihn dafür zur Rechenschaft zu ziehen
. Und dann war da noch eine leise Stimme, die ihn vor einer Gefahr warnen wollte, die er vergessen hatte, aber sie hatte keine Chance, gegen seinen rasenden Zorn und die unbändige Angst um Ayla. Mit aller Gewalt zerrte und riss er an den Gitterstäben, die sich davon aber vollkommen unbeeindruckt zeigten. Erst, als auch Abu Dun und zwei weitere Männer ihre Kräfte hinzuaddierten, gab das betagte Schloss mit einem protestierenden Kreischen so plötzlich nach, dass er überrascht zurückstolperte und beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. Mit den Armen rudernd sah er, wie Abu Dun den Kopf zwischen die Schultern zog und fast angstvoll nach oben sah. Doch nichts geschah. Zumindest in diesem Punkt hatte Kasim wohl recht behalten. Die tödliche Falle war nicht ausgelöst worden.
In allen anderen Punkten möglicherweise nicht. Mit einem Male erstrahlte ein Licht, weit hinter den Männern und in einer Höhe, die eigentlich unmöglich sein sollte, und Stimmen waren zu hören, die aufgeregt durcheinanderriefen, und hastige Schritte. Fackeln wurden geschwenkt und Befehle gebrüllt, und Andrej musste die Männer nicht sehen, um zu wissen, wie diszipliniert und präzise sie sich bewegten. Sie hatten vielleicht noch eine Minute.
Hintereinander drängten Clemens und die anderen herein. Andrej hatte endlich sein Gleichgewicht wiedergefunden und stellte fest, dass Altieri und seine Männer nun doch gebunden worden waren. Er wollte Ayla entgegenlaufen, doch Abu Dun stieß ihn heftig zurück, baute sich in unmissverständlicher Haltung vor ihm auf und schüttelte stumm den Kopf. Heiße Wut packte Andrej, und seine Hand zuckte zum Schwert, bevor er sich der Bewegung bewusst war.
So schnell er auch war, Abu Dun war schneller. Seine eisernen Finger schlossen sich mit solcher Gewalt um Andrejs Handgelenk, dass er vor Schmerz stöhnend auf die Knie sank. Abu Dun wiederholte sein wortloses Kopfschütteln und fegte mit schon fast erniedrigender Beiläufigkeit auch die andere Hand beiseite, mit der er ihn packen wollte. Hilflos musste Andrej mit ansehen, wie der Assassine Ayla wieder in Alis Obhut übergab. Sie wehrte sich schwach und selbstverständlich ohne die geringste Aussicht auf Erfolg.
»Was zum Teufel soll das?«, begehrte er auf. »Hast du jetzt endgültig die Seiten gewechselt oder einfach nur den Verstand verloren?«
»Gott zwingt uns einen harten Weg auf«, sagte Clemens, »aber es ist ein Weg des
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