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Nele Paul - Roman

Titel: Nele Paul - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbaek
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einen Basslauf. Die Kids starrten uns an, wie Menschen in einem Science-Fiction-Film, die eine Zeitreise in die Antike machten und dort Verrücktes vorfanden: Lebewesen, die miteinander sangen. Einfach so. Ganz ohne Computer und Textstellen, in denen Schlampen oder tote Bullen vorkamen.
    Am Ende applaudierten ein paar. Ritas Sohn meinte, wir sollten eine Band gründen. Es war zum Schießen. Als die Kids erfuhren, dass sie soeben mit der Isolierband gespeist hatten, gab es ein großes Aha. Als Kind hatte jeder von ihnen irgendwann mal einen unserer Schützenfest-Gigs mit seiner Familie besuchen müssen. Aus Kindersicht musste ihnen das alles groß und hip vorgekommen sein, anders konnte ich mir den Respekt nicht erklären, den sie uns plötzlich entgegenbrachten. Sie gierten nach »Bono, Prince und wir auf Tour«-Geschichten aus der großen, weiten Musikwelt. Damit konnten wir nicht dienen. Dafür erzählten wir Ritas Sohn ein paar Anekdoten über seine Mutter, die er so bestimmt noch nicht gehört hatte. Wir lachten, und zum ersten Mal an diesem Tag wirkte Rokko entspannt. Anita ignorierte ihn immer noch, aber auf eine Art, deren Ende absehbar war.

    Am frühen Abend hatten wir die untere Etage besenrein. Die Trümmer der Küchenwand lagen im Container, ebenso die Möbel. Die untere Etage war vorzeigbar, solange man nicht aufs Klo musste. Wir beschlossen, es für heute gut sein zu lassen, und entließen die Kids. Zum Abschied machten sie den Mädchen noch ein Kompliment für den Gesang, und Mor lud sie ein, uns auf ihrer Party spielen zu sehen. Sie schwärmten begeistert zu ihren Mofas und rollten vom Hof. Benni stieg in den 500er. Er hatte die Dreistigkeit zu winken, als er vom Hof fuhr. Während ich mit Rokko die Fenster für die Nacht verschloss, schüttelte er den Kopf.
    »Hat deine Mutter die kleinen Scheißer da eben zum Fest eingeladen?«
    »Hat sie für mich getan. Ich brauche neue Freunde. Ich hab ja nur dich.«
    Er nannte mich Penner und verpasste mir einen schlappen Haken. Schon tänzelten wir um uns herum und lugten uns durch die Deckung hindurch an. Ich schlug auf seine Deckung, er auf meine. Seine Schläge waren Schmetterlinge. Ich war nicht aufmerksam gewesen, und so hatte ich den Augenblick verpasst, als Anita ihm das Versöhnungszeichen gegeben hatte, doch die Auswirkungen waren nicht zu übersehen. Rokko war so mild und nachgiebig, dass ich ihn eine schwindsüchtige Tunte nennen konnte, ohne dass er mir mehr als vierzig, fünfzig Schläge verpasste.
    Wir schlossen das Haus ab und gingen den Hügel hinunter. Nele hielt meine Hand. Trotz des frühen Abends flimmerte es über den Feldern. Wenn es nicht bald regnen würde, wäre die Ernte dahin, aber in diesem Moment war mir alles egal. Ich fühlte mich auf eine gute Art erschöpft und zugleich aufgekratzt, wie es nur körperliche Arbeit schaffen konnte. Die Aussicht auf eine weitere Nacht mit der Frau meines Lebens störte mich dabei nicht sonderlich.
    Die Mädchen verschwanden ins Bad. Rokko und ich halfen derweil Mor in der Küche, die voller Bleche und Dosen war und nach Leckereien duftete, dass einem ganz schwindelig wurde. Vielleicht würde es nicht das größte Sommerfest aller Zeiten werden, das leckerste allemal. Wir fingen uns Warnungen fürs Naschen ein, duschten der Reihe nach, rannten in Handtücher gewickelt umher. Niemand von uns war danach, auseinanderzugehen und diesen Tag zu beenden.
    Als wir mit einem Glas frischem Eistee im Garten standen und der Sonne beim Versacken zusahen, atmete ich durch. In den letzten Jahren hatte es immer wieder Phasen gegeben, in denen ich mich gefragt hatte, ob man jemals wiederso glücklich werden konnte wie in der glücklichsten Erinnerung. Man zweifelte daran und dann, plötzlich … Glücklich. Ich sah Mors entspanntes Gesicht. Neles fröhliches Plaudern. Rokkos und Anitas Händchenhalten. Mein Glas Eistee war halb voll.
    Als ich Lust aufs Laufen bekam, winkten alle nur stöhnend ab. Ich fragte Mor, ob sie mitkäme, und wich einer Kartoffel aus. Die Kartoffel verfehlte mich nur knapp und schaffte es nicht einmal auf den Rasen. Kurz bevor sie aufschlug, verschwand sie in Novembers Maul auf Nimmerwiedersehen. Ich hatte ihn eine ganze Weile nicht gesehen, und plötzlich war er genau da, wo es was zu essen gab. Er schaute sich erwartungsvoll um. Fliegende Kartoffel? Wau. Ich machte Mor Vorwürfe, sie solle den Hund nicht bei Tisch füttern. Sie warf noch eine Kartoffel. Diesmal pflückte November das Ding

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