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Nelson sucht das Glück

Nelson sucht das Glück

Titel: Nelson sucht das Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Lazar
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benommen wurden. Seit ihre indische Zimmergenossin am College solche Blüten oft in ihr gemeinsames Zimmer mitgebracht hatte, liebte Katey die herrlich geformten, weißen Blumen.
    Nelson wuchs und wuchs und entwickelte dabei eine manchmal geradezu unkontrollierte Energie. In den ersten Tagen bei Katey und Don aß er nur wenig, doch schon bald, als ihm klar wurde, dass Emil nicht mehr war als eine schlechte Erinnerung, wurde er fast unersättlich. Die Näpfe voller Fressen, die ihm Katey zweimal am Tag vorsetzte, schlang er blitzschnell hinunter, und auch die Reste vom Tisch, die ihm Don oder sein Frauchen gelegentlich zukommen ließen, nahm er gerne entgegen. Katey probierte die verschiedensten Speisen aus, wobei sie Trauben und Schokolade vermied, wie es in den Lehrbüchern stand. Nelson fraß alles mit Begeisterung, wobei er kurz daran schnupperte und es dann mit dem größten Appetit verschlang.
    Zum ersten Mal zu fressen bekam er am Morgen, nachdem Katey und Don gefrühstückt hatten. Kurz danach verließ Don für den Rest des Tages das Haus, und obwohl sich Nelson ein wenig sorgte, er würde nicht zurückkehren, wurde er schon bald von Katey abgelenkt. Sie gab ihm sein Frühstück, nahm sich ein paar Minuten Zeit, um ihm den Kopf zu kraulen, und spielte ein wenig mit ihm. Dann wusch sie das Frühstücksgeschirr ab, und er hielt sich in der Nähe auf, während sie ihren Frühsport machte und duschte. Danach übte sie vier Stunden lang Klavier. Diesen Tagesordnungspunkt liebte Nelson besonders. Er lag dann unter dem Steinway-Flügel, den Katey von ihrer Großmutter geerbt hatte und den sie in eine Ecke von Kateys und Dons Wohnzimmer gequetscht hatten. Kateys Hände flogen anmutig über die Tasten. Nelson fand klassische Musik sehr beruhigend. Obwohl seine Ohren nicht so viel mit den Klängen anfangen konnten wie das menschliche Ohr, war er doch in der Lage, ihre Bandbreite und die verschiedenen Tonlagen und Rhythmen zu genießen, die er größtenteils als angenehm empfand. Er hörte sogar viele hohe Töne und Harmonien aus dem Klavierspiel heraus, die ein Mensch gar nicht wahrnehmen konnte.
    Fast noch besser fand er den Geruch des Pianos. Kateys Duft war überall, doch der Flügel gab auch noch andere, schwächere, aber dennoch faszinierende Gerüche von sich. Irgendwann konnte Nelson an die dreißig, vielleicht sogar vierzig verschiedene Gerüche von Holz erkennen, die man beim Bau des Flügels verwendet hatte. Einiges davon war junges Holz, anderes war sehr alt. In jeder Holzsorte steckte eine Geschichte, die Lebensgeschichte eines Baumes mit all ihren Höhen und Tiefen: wie schnell er gewachsen war, wann er eine Dürre erlebt hatte und wann bessere Zeiten. Manchmal konnte Nelson auch noch kleinere Geschichten über die Tiere erschnuppern, die in dem Baum gelebt hatten, ob Vögel oder Insekten. Alle zusammen waren diese Geschichten interessant für den jungen Hund. Doch für ihn bestanden sie nie aus Worten, noch waren es Geschichten, bei denen sich das eine aus dem anderen entwickelte. Es waren Geschichten, wie sie die flüchtige, dynamische, quecksilbrige Sprache des Geruchs erzählte.
    Jeden Tag, wenn Katey mit dem Üben der klassischen Stücke fertig war, tippte sie heftig mit dem Fuß auf den Boden und begann, eines ihrer Lieblingslieder zu spielen: » Here comes the sun« von den Beatles. Als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war, hatte ihr Vater das Lied auf einer LP gehört und lauthals mitgesungen, während sie auf seinem Schoß saß, doch heute waren die fröhlichen Harmonien des Beatles-Liedes für Katey der perfekte Ausgleich zu den strengen Tonfolgen, die ihre klassische Klavierausbildung ihr abverlangte. Schon bald hatte sich Nelson an dieses tägliche Ritual gewöhnt. Während sie übte, wusste er, dass er sie nicht stören durfte, doch sobald sie begann, mit den Füßen auf den Boden zu tippen, pulsierte der Rhythmus wie Strom durch seinen Körper. Dann sprang er an dem Klavierhocker hoch, während sie ihm mit sorgloser, fröhlicher Stimme das Lied vorsang. Schon bald erkannte er den Song sofort und liebte ihn sehr, weil er wusste, was danach folgte. Denn wenn sie mit dem Lied fertig war, nahm Katey seine Leine, und sie brachen zu ihrem täglichen Spaziergang auf. Das war ihm der liebste Teil seines Tages mit ihr.
    Etwa eine halbe Stunde, manchmal auch länger, wanderten sie dann durch das Viertel, das ihr Haus umgab. Nelson fiel es schwer, nicht an der Leine zu ziehen, doch er lernte rasch,

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