Nelson sucht das Glück
Erfahrung hatte sie ein genaues Gefühl dafür entwickelt, ob die Chancen, in einer Stadt zu überleben, ohne von Hundefängern aufgegriffen zu werden, das Risiko wert waren, dort zu bleiben. Es gab Städte, in denen die Menschen jeden Hund jagten, der ohne Halsband und Leine unterwegs war. Lucy spürte, dass viele Menschen es gut meinten, doch auf gar keinen Fall wollte sie in den Zwinger zurück. In anderen Städten ließen die Menschen einen streunenden Hund weitgehend in Ruhe und gaben ihm manchmal sogar eine Kleinigkeit zu fressen, was Lucy immer dankbar annahm.
Als sie an diesem Tag nach Kalispell kam, war sie sich nicht gleich so sicher, ob es sich hier für einen Hund wie sie um eine freundliche Stadt handelte. Doch das sollte vorerst nicht ihre größte Sorge sein. Sie brauchte dringend etwas zu fressen, und so war es kein Zufall, dass sie von den Düften des Fernfahrerrestaurants angezogen wurde, wo Nelson schlief. Die köstlichen Aromen aus Martas Küche hingen in der regnerischen Luft.
Zuerst erschrak Lucy, als Nelson von hinten auf sie zulief, heftig an ihrem Hinterteil schnüffelte und sie zu besteigen versuchte. Nelson war selbst über sein Verhalten erschrocken. Er hatte sich noch nie gepaart und war weder durch seine Eltern noch durch andere Hunde auf den Liebesakt vorbereitet worden. Lucys Geruch setzte einfach nur all seine Sinne in Flammen, und sein Körper reagierte. Wenn ein Geruch wie eine helle, leuchtende, satte, herrliche Farbe sein konnte, dann war Lucys Duft ein Regenbogen, der sein Herz und seinen Verstand durchdrang. Mit diesem anderen kleinen Hund, der voll sinnlicher Wucht in sein Leben getreten war, musste er einfach zusammenkommen, sich mit ihm vereinen.
Lucy wollte nichts davon wissen. Sie zeigte ihm die Zähne und schaute ihm drohend in die Augen, versuchte dabei mit gekräuselter Nase zu erschnuppern, was dieser andere Hund eigentlich wollte. Nelsons Geruch überwältigte sie nicht in dem Maße, wie der ihre ihn überwältigte, doch sie fand ihn seltsam angenehm und irgendwie edel. Deshalb hörte sie auch mit dem Zähnefletschen auf und knurrte ihn nur noch leise an. Trotzdem besprang er sie, leckte ihr das Gesicht und biss ihr sanft in den Nacken.
Sie hatte Hunger und wollte fressen, weshalb sie so schnell von ihm weglief, wie sie nur konnte. Doch er blieb ihr auf den Fersen. Bei dem Müllplatz neben dem Fernfahrerrestaurant blieb Lucy abrupt stehen, denn jetzt hatte sie dieselbe Essensquelle gefunden, die Nelson seit seiner Ankunft in Kalispell so gut ernährt hatte. Sie schlang ein halb gegessenes Omelett mit massenhaft Käse und Hackfleisch hinunter und knabberte zum Nachtisch noch ein paar knusprige Käsepommes.
Als sie mit dem Fressen fertig war, gelang es Nelson endlich, sie zu besteigen. Auch Lucy war in Liebesdingen unerfahren, und es lag nur an ihrer verzweifelten Konzentration auf das Essen, dass sie Nelson überhaupt eine Chance gab, das zu bekommen, was er sich so sehr wünschte. Als Lucys Hunger gestillt war, hatten Nelsons kleine Pfoten sie fest gepackt, und er stieß in sie hinein. Es tat ziemlich weh, und sie roch ein wenig ihres eigenen Blutes. Doch aus irgendeinem Grund, den sie nicht recht verstand, ließ sie ihn gewähren. Erneut atmete sie tief seinen Geruch ein, der ihr diesmal sogar noch angenehmer war. Er war ein schöner Hund.
Vom Fenster ihrer Küche aus beobachtete Marta, wie sich die beiden kleinen Hunde paarten. Ein Teil von ihr war glücklich bei dem Gedanken an die kleinen Welpen, die sie in gut zwei Monaten vorfinden würde. Sie würde sie aufpäppeln und vielleicht in der Küche übernachten lassen. Doch es machte sie auch traurig, denn sie wusste, wo die meisten Jungen aus einem unerwünschten Mischlingswurf landeten – tot auf der Straße.
Was sie nicht wissen konnte, war, dass Nelson sterilisiert und Lucy zwar fruchtbar war, es aber doch ausgeschlossen war, dass er sie trächtig gemacht hatte. Nelson und Lucy hatten keine Ahnung, dass Welpen entstehen konnte, nachdem zwei Hunde sich gepaart hatten. Für sie war die Paarung einfach nur etwas Aufregendes, Neues, das mit Leben erfüllt war, ein herrliches Kaleidoskop aus Düften, in dem sie voller Wonne schwebten. Als ihre Körper sich vereinten und er ihre Wärme und ihr Fell spürte, das sich an ihm rieb, fühlte sich Nelson erfüllt, und als er zum Höhepunkt kam, hatte der junge Hund das Gefühl, gleich vor Freude zu explodieren. Und auch Lucy, deren Gefühle nicht ganz so intensiv
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