Nemesis 04 - In dunkelster Nacht
Waden. »Es kommt kein warmes Wasser«, jammerte der Wirt aufgebracht. »Das ist so kalt, als hätte es seit Jahrhunderten in einer Zisterne tief unter der Burg gestanden.«
»Ich glaube, Ellen hat sich recht deutlich ausgedrückt.
Du kommst hier nicht heraus, solange du noch nach deiner Scheiße stinkst.« Ich setzte vielsagend meinen Fuß auf Stefans Tasche, die vor mir im Eingang zum Duschraum stand. »Und von mir bekommst du kein Handtuch, solange du nicht sauber bist. Wie lange das dauert, liegt ganz allein bei dir.«
»Drecksack!«, schimpfte Carl, drückte sich eine Weile im Dunkeln herum und bedachte mich mit einer Salve weiterer, nicht viel schmeichelhafterer Bezeichnungen, während er erneut unter das eiskalte Wasser trat. Offensichtlich machte sein Ärger ihn mutig, oder er wähnte sich unter dem eisigen Nass vor mir und speziell der Klinge in meiner Hand in Sicherheit.
Ich blickte auf den Flur hinaus, denn ich hatte genügend Dinge gesehen, die mich nicht im Geringsten interessierten. Der kurze Blick, den ich auf sein bleiches Bauchfleisch erhascht hatte, hatte mich lebhaft an die glitschigen Bäuche toter Aale erinnert: aufgedunsenes, helles, stinkendes Fischfleisch. Ich erinnerte mich an einen Sonntag aus fernen Kindertagen, an dem man mich genötigt hatte, Aal zu essen. Mir war speiübel geworden von dem fettigen Zeug, und ich hatte noch nicht einmal aufstehen dürfen, um mich auf der Toilette zu übergeben.
Danach hatte mich nie wieder jemand dazu zwingen können, Dinge auch nur zu probieren, die ich nicht essen wollte.
Das Geräusch des niederprasselnden Wassers verstummte im selben Augenblick, in dem der Hahn quietschend geschlossen wurde.
»Gib mir ein Handtuch«, forderte Carl. Ich konnte seine Zähne deutlich klappern hören. »Ich friere mir hier den Arsch ab!«
»Was ich an deiner Stelle auf jeden Fall begrüßen würde«, antwortete ich und stieß Stefans Tasche mit dem Fuß in den Duschraum hinein. Die metallenen Beschläge der teuren Sporttasche verursachten ein klirrendes und kratzendes Geräusch auf den alten Kacheln. In der Luft hing ein Geruch wie von Klärschlamm, und vielleicht war es ja auch solcher, der durch die seit Ewigkeiten nicht mehr in Betrieb genommenen alten Wasserabflüsse aus der Kanalisation hereindrang.
Der Wirt zog Stefans Reisetasche mit einer akrobatischen Verrenkung zu sich in den Schatten, wühlte einen Augenblick lang darin herum und zog sich schließlich etwas über. Als er danach in den vom Flur hereinfallenden gelben Lichtstreifen trat, wirkte er mehr denn je wie eine Witzfigur: Er trug einen dunkelblauen Jogginganzug mit weißen Streifen auf den Ärmeln und an den Hosenbeinen. Das Oberteil war ihm an den Schultern hoffnungslos zu weit, während es sich über seinem Bauch so gewaltig spannte, dass ich fast fürchtete, es würde aus allen Nähten platzen, sobald er zu tief einatmete. Stefans viel zu enge Trainingshose schnitt in seine Pobacken und quetschte seine Genitalien, aber zu enge Hosen zu tragen, war für den Althippie schließlich kein Neuland. Dazu trug er seine ausgelatschten Birkenstocksandalen.
»Sag nichts«, grummelte Carl übellaunig. »Ich weiß schon selbst, wie ich aussehe.«
Ich schwieg tatsächlich. Carls Anblick war dermaßen lächerlich, dass jede zusätzliche Bemerkung meinerseits den an sich urkomischen Moment zu lächerlichem Kitsch verhunzt hätte. Ich trieb den Wirt wortlos mit dem Messer vor mir her den Flur hinab und auf Ellens Zimmer zu, wo die junge Ärztin uns sichtlich nervös bereits mit dem großen Tranchiermesser in der Hand erwartete. Judith lag noch immer blutverschmiert und nass geschwitzt auf dem Bett und atmete flach. Irgendein verachtenswerter Teil meiner Persönlichkeit brachte noch genügend schwarzen Humor hervor, um mich an einen billigen Horrorfilm erinnert zu fühlen, als ich den staubigen Raum betrat; die ganze Szenerie wirkte wie ein Zitat aus Scream oder einem anderen Horrorschocker. Ellen mit dem Fleischermesser, Carl in seinem Jogginganzug, die nahezu übertrieben unheimlich wirkende Umgebung – das alles wäre regelrecht lächerlich gewesen ohne das Bewusstsein der beiden durch und durch realen Toten im Untergeschoss.
»Endlich seid ihr zurück!« Ellen trat uns hektisch ein Stück weit entgegen. »Habt ihr auch Schritte gehört?«, fragte sie aufgeregt.
»Schritte?« Ich konnte ihr nicht ganz folgen.
»Draußen auf dem Flur«, erklärte Ellen. »Kaum, dass ihr weg wart.«
Ich schüttelte den
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