Nemesis 04 - In dunkelster Nacht
wissen schließlich, wo sie sich aufhält.«
»Wir wissen, dass jemand unter der Dusche steht«, spaltete der Wirt verbal Haare.
Eigentlich hatte er sogar recht mit dem, was er sagte, denn alles, was wir definitiv wussten, war, dass das Wasser im Duschraum unregelmäßig rauschte, woraus wir schließen konnten, dass sich jemand unter dem Duschstrahl bewegte. Manchmal wurde das Rauschen unterbrochen, dann klang es wieder lauter. Natürlich konnte es einfach irgendjemand sein, der sich darunter bewegte – schließlich konnten wir Ellen nicht sehen (was der kleine Schweinehund in mir, mit dem ich heute schon so oft in Zwiespalt geraten war, aufrecht bedauerte). Einen kleinen Augenblick lang war ich sogar geneigt, der attraktiven Ärztin nach oben zu folgen und mich davon zu vergewissern, dass sie sich mitten in ihrem für uns Männer unergründlichen Reinigungsritual einer Frau befand, aber ich beherrschte mich dann doch. Wenn Carl Unrecht hatte, dann würde ich gleich dastehen wie ein blöder Spanner, der heimlich eine nackte Frau unter der Dusche beobachtete, und der Einzige, der dann davon profitierte, war dieser kleine Voyeur, der wohl in jedem männlichen Wesen steckte. Ich durfte mich nicht auf solche bescheuerten Kindereien einlassen, ich durfte Carls Spielchen nicht mitmachen.
Und nicht zuletzt gab es noch eine ganz andere Methode, um herauszufinden, wo sich die Ärztin gerade befand.
»Ellen?«, rief ich laut.
Niemand antwortete. Ich spürte, wie sich ein eisiger Klumpen in meinem sensiblen Magen bildete.
»Sie ist nicht mehr da.« Der Wirt lächelte triumphierend.
»Quatsch«, schaltete sich Judith ein und schüttelte entschieden den Kopf. »Sie kann uns einfach nicht hören.
Sie steht unter der Dusche, verdammt!
Könnt ihr mal einen Gang runterschalten und mit euren beschissenen Verschwörungstheorien aufhören?«
»Verschwörungstheorien?«, wiederholte Carl herausfordernd und stieß ein meckerndes Lachen aus. »Hat dir Ellens Hetzkampagne gegen mich endgültig das Hirn vernebelt? Wer von uns hätte wohl die Fähigkeit gehabt, Ed die Kehle so gekonnt durchzuschneiden, dass man dabei keinen einzigen Tropfen Blut abbekommt? Und Ellen hatte die Gelegenheit dazu, während ihr beide noch unten im Keller wart. Vielleicht hat sie auch schon Maria erledigt, und jetzt wartet sie noch auf den geeigneten Moment für uns.«
Ich fühlte mich ein wenig so, als träufelten Carls Worte wie ein schleichendes Gift in meine Gedanken. Nach wie vor war niemand anderes als er mein persönlicher Hauptverdächtiger, als Abschusskandidat an erster Stelle auf meiner Liste und derjenige, der mir nach Eduards grauenvollem Ableben von allen hier am tiefsten zuwider war.
Dennoch war ich nun auch fast wieder bereit, ihm zu glauben. Judiths Argumente waren mindestens genauso plausibel wie die seinen, und seine mögliche Schuld am Tod der beiden anderen eher noch einfacher zu glauben, als die, die er Ellen gerade versuchte zuzuschieben.
Trotzdem konnte ich mir nur zu lebhaft vorstellen, dass in diesem Augenblick nicht Ellen, sondern irgendjemand anderes unter der Dusche stand, der zusammen mit der rothaarigen Ärztin ein tödliches Spiel mit uns spielte. Ich lauschte angestrengt. Das Geräusch des auf den harten Boden niederprasselnden Wassers war verstummt und eine unheimliche Stille eingekehrt, die mir mit der destruktiven Achterbahnfahrt meiner Gedanken eisige Schauer und eine Gänsehaut über Arme und Rücken trieb.
»Statt weiter Paranoia zu schieben, sollten wir lieber etwas Sinnvolles tun und uns einmal Marias Sachen ansehen«, schlug Judith nüchtern vor. Ich war ihr dankbar für diese Ablenkung von der absurden Schnapsidee des Wirtes und schalt mich insgeheim einen Narren, dass ich sie überhaupt eine Sekunde lang verfolgt hatte. »Sie hat mehr über die Burg gewusst, als wir alle zusammen.
Vor allem über das, was hier im Dritten Reich geschehen ist. Und sie hat jede Menge Bücher dazu mitgeschleppt«, erklärte sie.
»Paranoia!«, fauchte Carl unbeirrt. »Habe ich mir vielleicht eingebildet, dass Ed nur ein paar Schritte neben mir abgestochen wurde, sodass sein Blut mir ins Gesicht spritzte? Und von Stefan mit dem Messer im Rücken habe ich wahrscheinlich auch nur geträumt! Komm, weck mich auf, Schätzchen. Dass dich das alles hier kalt lässt, hast du mir ja schon eindrucksvoll bewiesen, du Fotze!
Fickst hier laut stöhnend herum, während unten zwei Leichen liegen und irgendwo ein Killer umherschleicht.
Ich
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