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Nemesis 04 - In dunkelster Nacht

Nemesis 04 - In dunkelster Nacht

Titel: Nemesis 04 - In dunkelster Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
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durch diese Burg zieht, Ed absticht, dich aber am Leben lässt, obwohl du ihm wehrlos ausgeliefert warst«, konterte Ellen.
    Ihre Vorgehensweise war eine recht eigenwillige, fand ich. Es war nicht etwa so, dass ich Mitleid mit Carl gehabt hätte, im Gegenteil: Dass der brodelnde Hass, der in der Küche über mein Handeln bestimmt hatte, mittlerweile versiegt war, hieß noch lange nicht, dass ich irgendetwas für den schwabbeligen, langhaarigen Wirt übrig gehabt hätte. Sein Leid war mir nach wie vor eine Freude, wenn auch nicht mehr eine, die derart perverse Ausmaße annahm. Aber die widersprüchliche Art, mit der Ellen Judith behandelte und gleichzeitig einen Streit mit Carl heraufbeschwor, war wirklich bemerkenswert.
    Was bezweckte sie damit? Wollte sie Judith, wie sie ganz offen behauptet hatte, wirklich nur von ihren Schmerzen ablenken, oder verfolgte sie damit einen ganz anderen, dunklen Plan?
    Verdammt, ich begann schon wieder damit, einen der anderen zu verdächtigen. Es wäre klüger, wenn wir uns alle zusammenraufen und dem Mörder, der irgendwo da draußen auf uns lauerte, trotzen würden. Es sei denn, er befand sich wirklich in diesem Raum ...
    Carls Verteidigung gegen Ellens Vorwürfe war mehr als unbeholfen. Ellen sah den Wirt nicht einmal an, sondern konzentrierte sich darauf die gebogene Nadel in Judiths Fleisch zu versenken. Kleine, rote Blutperlen erschienen auf der hellen Haut, wenn sie einen neuen Stich setzte, wobei Judith sich erstaunlich tapfer hielt.
    Hin und wieder stöhnte sie leise, und ihr Gesicht war zu einer Grimasse des Sich-bloß-nichts-Anmerkenlassens verzogen, woran ich erkannte, dass Ellens Ablenkungsstrategie nicht besonders gut fruchtete. Ich bewunderte sie für die Stärke, die sie in diesem Moment aufbrachte, als Ellen ohne Betäubung und mit einfachsten Mitteln in einem alten Internatszimmer an ihr herumoperierte, während draußen auf dem Flur vielleicht ein brutaler Massenmörder nur auf einen günstigen Augenblick wartete, um zum finalen Schlag auszuholen. Was mich selbst betraf, vermochte mich schon das Geräusch eines Bohrers beim Zahnarzt auf die Schwelle zur Ohnmacht zu katapultieren, von dem Gefühl einer Nadel, die durch die Haut geschoben wurde, etwas in meinen Kreislauf pumpte, von dem die Natur nicht gedacht hatte, dass es dort sein sollte, ganz zu schweigen. Judith aber ertrug geduldig einen Einstich nach dem anderen, mit schmerzverzerrtem Gesicht zwar, aber ohne Protest, während mir allein von dem Gedanken an das Gefühl, das sie haben musste, wenn Ellen den blauen Plastikfaden durch ihr Fleisch zog, einmal mehr speiübel wurde. Carl jedoch brachte Ellen immer mehr in Rage, obwohl sie sich zumindest in diesen Sekunden ausschließlich auf ihre undankbare Arbeit zu konzentrieren schien und nichts mehr sagte. Statt sich herumzudrehen und aus dem Zimmer zu stürmen, machte er nun in einem Anfall von verzweifelter Wut einen Schritt auf die beiden Frauen zu.
    Ich sprang auf, griff nach dem Tranchiermesser und nahm vor den beiden Frauen Aufstellung.
    »Reg dich ab, Carl«, sagte ich, wobei ich mich mit wenig Erfolg um einen versöhnlichen Tonfall bemühte.
    Wenn aber meine mehr als kümmerliche Rhetorik den Wirt schon nicht zum Rückzug zu bringen vermochte, dann offenbar zumindest das riesige Messer in meiner Hand. Er war alles andere als ein Athlet, aber bei seiner bulligen Statur wäre es mir unbewaffnet wahrscheinlich kaum möglich gewesen, ihn zurückzuhalten, wenn er tatsächlich auf Ellen und Judith losgegangen wäre.
    Carls Gesicht war purpurrot angelaufen, und er schnaubte vor mühsam unterdrücktem Zorn, als er meine Worte in verächtlichem Tonfall wiederholte. »Reg dich ab, reg dich ab«, fluchte er. »Das sagt mir gerade der Richtige! Glaubst du etwa, ich hatte schon vergessen, wie du mich vorhin behandelt hast, Mister Obersklaventreiber? Ich weiß ganz genau, wer der nächste auf eurer Todesliste ist!«
    »Red keinen Unsinn«, entgegnete ich auf seine lahme Anschuldigung und wandte den Blick beschämt ab, mit dem ich Judith über die Schulter hinweg bedacht hatte, als Carl meine Folterversuche in der Küche ansprach.
    Eine Todesliste? Das war doch blanker Unsinn! Wer auch immer die Morde auf dem Gewissen hatte, war ein Irrer, der nicht Buch führte, sondern gerade den willkürlich dahinraffte, der ihm die Gelegenheit zum Meucheln bot, ohne dabei entdeckt zu werden. Was aber blieb, musste ich mir selbst eingestehen, war die Frage nach dem Grund, aus dem der

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