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Nemesis 04 - In dunkelster Nacht

Nemesis 04 - In dunkelster Nacht

Titel: Nemesis 04 - In dunkelster Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
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an deiner Stelle würde –«
    Das war zu viel. Mit voller Gewalt rammte ich das Tranchiermesser in die Tischplatte neben mir, stürzte mich mit einem Kampfschrei auf den Wirt und packte ihn am Kragen seines dunkelblauen Trainingsanzuges. Vom Schwung meiner aggressiven Bewegung aus dem Gleichgewicht geraten, prallte ich in der gleichen Sekunde gegen seinen speckigen Leib, sodass Carl mit einem entsetzten Aufschrei rückwärts gegen den Türrahmen knallte. Ein dumpfer Laut erklang, und ich hörte, wie seine Zähne hart aufeinander schlugen, aber obwohl es nicht meine Absicht gewesen war, ihn auf diese Weise zu verletzen, tat mir die mächtige Beule, die er in diesem Augenblick mit Sicherheit davontrug, kein bisschen Leid.
    Im Gegenteil: Er hatte noch lange nicht genug.
    Der Wirt war völlig überrumpelt und vor Schrecken und Überraschung nicht einmal in der Lage, sich gegen meine Attacke zu wehren, sondern hob nur schützend sie Arme vors Gesicht, was meine zur Faust geballte Linke aber nicht daran hindern konnte, klatschend in seinem Gesicht zu landen. Ich hatte mich nie zuvor mit jemandem geprügelt, war Zeit meines Lebens ein gottverdammter Feigling gewesen, sodass mein erster Schlag schlecht gesessen und lediglich die rechte Wange des Wirtes getroffen hatte. Aber für Judith war ich in diesen Sekunden bereit, meine Karriere als Feigling und Versager zu beenden und Carl und mir selbst zu beweisen, dass durchaus ein ganzer Kerl in mir steckte, dessen Geduld begrenzt war und Konsequenzen entschieden und schmerzhaft sein konnten. Immer wieder ließ ich in blinder Wut abwechselnd die rechte und die linke geballte Faust in Carls aufgeschwemmtes Gesicht schnellen, beobachtete mit Befriedigung und in zunehmender, an Mordlust grenzender Rage, wie seine Nase zu bluten und sein linkes Auge anzuschwellen begann. Fotze hatte er sie genannt, sie auf eine Weise beschimpft, mit der ich nicht einmal einer Hure unter einer Laterne begegnen könnte. Niemand sprang so mit meiner kleinen Judith um, kein Mensch auf der Welt, und schon gar nicht dieser stupide Fettwanst, der mindestens ein Vierteljahrhundert der gesellschaftlichen Entwicklung und des menschlichen Fortschritts verpennt hatte! Ich holte schwungvoll mit dem angewinkelten Bein aus, um ihm leidenschaftlich mein Knie in den Schritt zu rammen, doch im letzten Moment umklammerte Judith meinen Brustkorb mit festem Griff und zog mich mit einem entschiedenen, erstaunlich kraftvollen Ruck von dem wimmernden Wirt zurück.
    »Es ist genug.« Ihre Stimme klang wie aus weiter Ferne zu mir hindurch.
    »Das verdammte Drecksschwein!« Ich versuchte mich aus ihrer Umklammerung loszuwinden, bereit, erneut auf den dicken Gastwirt loszugehen und so lange auf ihn einzuschlagen, bis er wimmernd am Boden lag, und sogar dann noch ein paar Tritte nachzusetzen, ehe ich ihm ins Gesicht spuckte. »Dem stopfe ich das Maul, der wird nie wieder so über dich reden, hast du gehört? Dieser miese kleine Wichser, diese beschissene, fette Sackratte, ich werde ihn –«
    Mit bloßen Händen erschlagen, ausnehmen wie einen fetten Karpfen und unter seinen eigenen Innereien begraben, hatte ich sagen wollen, aber Judith schnitt mir das Wort ab.
    »Es reicht!«, wiederholte Judith nachdrücklich, aber ich glaubte sehr wohl, so etwas wie Bewunderung, zumindest aber Verständnis aus ihrer Stimme herauszuhören.
    »Lass ihn. Wer sich mit Dreck abgibt, macht sich schmutzig. Er ist es nicht wert.«
    »Na, kaum hat man euch allein gelassen, schon geht ihr euch wieder mit größter Begeisterung gegenseitig an die Kehle.« Es war Ellen, die das sagte. Sie hatte geduscht und sich angezogen und stand nun im Türrahmen, von wo aus sie mich mit einem geschauspielerten, übertrieben wirkenden Kopfschütteln und dem Blick einer Gouvernante maß, die gerade ihre Schützlinge beim Naschen aus dem Marmeladenglas erwischt hat. »Das ist ja wie im Kindergarten hier!«
    In der gnadenlosen Zerstörungswut, die mich erfasst hatte, hätte ich mich am liebsten allein schon für die arrogante Weise, auf die sie mich betrachtete, doch noch entschiedener gegen Judiths Klammergriff gewehrt, um gleich bei der Ärztin an der Stelle weiterzumachen, wo ich bei Carl unfreiwilligerweise aufgehört hatte, doch unsere hochnäsige Chirurgin sah so unverschämt gut aus in diesem Augenblick. Zwar war ihr Haar noch immer nass und hing strähnig auf ihre Schultern hinab, aber das tat dem Bild, das sich meinem Ästhetik liebenden Auge bot, keinen

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