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Nemesis 04 - In dunkelster Nacht

Nemesis 04 - In dunkelster Nacht

Titel: Nemesis 04 - In dunkelster Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
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fürchte, wenn die Wunde nicht versorgt wird, wird sie bald umkippen.« Sie schenkte Judith ein dünnes Lächeln. »Und noch ein kosmetischer Tipp von der Metzgerin deiner Wahl: Wenn die Wunde nicht genäht wird, dann wirst du eine breite Narbe zurückbehalten. Das ist in der Tat egal, wenn wir heute Nacht noch alle draufgehen, aber ich verspreche dir, es wird dich bald höllisch ärgern, wenn wir doch überleben sollten. Keine kurzärmeligen Hemden mehr, keine luftigen Sommerkleider mit Spaghettiträgerchen ...« Sie schüttelte den Kopf. »Narben sind der Schmuck des Mannes«, behauptete sie. »Bei uns Frauen sehen sie einfach nur hässlich aus.«

Schätzchen, dachte ich. Sie hatte das abfällig angehängte Schätzchen vergessen oder es sich bewusst verkniffen. Seit Judith wieder an meiner Seite gegangen war, mich sogar ganz offen an der Hand gehalten und umarmt hatte, war Ellen ihr wieder mit derselben Arroganz begegnet, die Judith vor der kurzfristigen Wafenruhe so sehr gegen sie aufgebracht hatte. Ich verstand Ellen nicht, aber dieser Umstand beunruhigte mich nicht weiter. Man musste nicht besonders unsensibel oder begriffsstutzig sein, um aus Frauen untereinander nicht schlau zu werden. Was ich allerdings begriff, war, dass Ellen in ihrer Chirurginnenrolle, in der sie seit einigen Minuten wieder aufging, eine beeindruckende natürliche Autorität ausstrahlte, die auch an Judith nicht wirkungslos abprallte. Sie betrachtete einen Augenblick lang das dunkle, dickflüssige Blut, das noch immer aus der Wunde quoll und nun auf die Tischplatte hinabtropfte, und nickte schwach. »Du hast ja Recht«, sagte sie leise.
    Ellen griff nach der Erste-Hilfe-Tasche aus dem ruinierten Geländewagen, die noch immer neben Eds Stuhl stand. »Es ist besser, wenn du dich wäschst.« Sie bot Judith ihren Arm an. »Ich kann dich rauf zur Dusche bringen.«
    »Ich ... ich werde deine Sachen einsauen.« Judith schüttelte den Kopf und wirkte auf einmal regelrecht eingeschüchtert. »Ich meine ...«
    »Das wäre nicht das erste Mal, dass ich mir neue Klamotten mit Blutspritzern ruiniere«, lächelte Ellen, zuckte leichthin mit den Schultern und blickte vielsagend an ihrer völlig durchnässten, nichtsdestotrotz (oder gerade deshalb ...) noch immer aufreizenden Garderobe hinab.
    »Berufsrisiko.« Sie legte sich Judiths linken Arm über die Schulter, um sie zu stützen, und einen kleinen Moment lang sah es so aus, als wolle Judith doch noch dagegen aufbegehren. Aber dann siegte entweder ihre Vernunft, oder ganz einfach die Schwäche, und sie ließ sich von der Ärztin auf die Küchentür zu und hinausführen.
    »Kümmerst du dich um Carl?«, fragte Ellen mit einem kurzen Blick über die Schulter zu mir zurück, ehe sie mit Judith in der Empfangshalle verschwand, ohne eine Antwort abzuwarten.
    »Ich ... sicher.« Ich nickte langsam und schüttelte fast gleichzeitig den Kopf, während ich mich irritiert und ein wenig hilflos dem nach wie vor auf dem grauen Linoleumboden kauernden Wirt zuwandte.
    Carl streckte mir zögernd die Hand entgegen, wohl in der Erwartung, dass ich ihm beim Aufstehen behilflich sein würde, aber ich verzog nur angewidert das Gesicht.
    Mich um Carl kümmern? Ich hatte keine Ahnung, was Ellen bei diesen Worten vorgeschwebt war, weigerte mich aber, dieser Aufforderung auch nur gedanklich nachzukommen, sofern es darauf hinaus lief, dass ich diesen erbärmlich nach Schweiß und Urin stinkenden, aufgeschwemmten Kerl mit den langen, verfilzten und nun auch noch zu dicken Strähnen mit Blut verklebten Haaren dazu in irgendeiner Form berühren musste. Noch immer schmeckte ich Magensäure und bittere Galle auf meiner Zunge, und ich befürchtete, mich erneut übergeben zu müssen, wenn ich dem Wirt zu nahe kam. Dabei war noch nicht einmal sein abscheulicher Anblick oder sein widerwärtiger Geruch letztlich entscheidend, sondern vielmehr die noch immer unbeantwortet an mir nagende Frage nach dem Part, den er in dieser ganzen Geschichte spielte, was er mit den beiden Morden zu tun hatte, und was in seinem kranken Hirn wohl vorgehen mochte, dass er es fertig brachte, so glaubhaft in eine derart jämmerliche Rolle zu schlüpfen.
    Ich zog eine Grimasse und tastete den Boden mit Blicken nach dem blutigen Napola-Dolch ab, der mir aufgefallen war, als ich die Küche betreten hatte. Ich hatte keine Beweise gegen Carl, also war ich auf ein Geständnis angewiesen. Dieser verfluchte Nazidolch war die Waffe, die Stefans Leber durchbohrt

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