Nemti
Messingschale mit schwach erkennbaren Blutanhaftungen, Becher und Kultgegenstände lagen auf einem Tisch, daneben ein blutverschmiertes Messer, in Folie verpackt. An einem Kleiderständer hingen, geschützt durch Plastiküberhänge, weiße Kutten.
»Hallo, jemand zu Hause?«, rief Habermehl. Er zog seine Hose hoch. Während der Zeit der Ermittlungen hatte er einige Kilogramm verloren.
Hinter einem Aktenschrank tauchte ein verschwitztes Gesicht auf. Christian Engel.
»Ward ihr auf dem Flohmarkt?«
»Kann ich nicht drüber lachen, Herr Habermehl. War eine schöne Plackerei, das alles herzuschaffen.«
»Sagen Sie bloß, das stammt alles aus Gleißners Keller?«
»Nur aus dem Tempelraum. Übrigens der Traum eines jeden Spurensicherers. Ein erstklassiger Fundus an Beweismaterial.«
»Sollte das nicht zur kriminaltechnischen Untersuchung rüber?«
»Wir sind dabei, alles zu erfassen. Danach beglücken wir Evelyn damit.«
»Das ist unglaublich.« Weinbrecht sah sich um. »Sieht nach einer archäologischen Grabung aus.« Er ging auf die Figuren zu und streckte die Hand aus.
»Finger weg, Kollege. Die müssen noch untersucht werden. Die rote Farbe könnte auf Basis von Blut hergestellt sein.«
»Berichten Sie in kurzen Worten, was Sie vorgefunden haben«, forderte Habermehl Engel auf.
»Okay. Der Vorraum wird zurzeit von Kollegen untersucht. Ein erstes Ergebnis: In der Dusche konnten sie Blutreste feststellen. Hinter dem Vorraum treten Sie in eine Zauberwelt ein. Anders kann ich das nicht ausdrücken. Vor Jahren habe ich mit meiner Frau eine Nil-Kreuzfahrt unternommen. Im Rahmen des Besichtigungsprogramms besuchten wir den Horustempel in Edfu. Überwältigend, sage ich Ihnen. Daran erinnerte ich mich, als ich den Tempelraum unter Gleißners Haus betrat. Alles etliche Dimensionen kleiner, aber trotzdem beeindruckend.«
»So etwas erwartet man nicht in der Eifel.«
»In einem Kühlschrank fanden wir verschlossene Gläser mit Blut.«
»Was vermuten Sie?«
»Die Analyse wird ergeben, dass es sich um Blut der Mordopfer handelt. Davon bin ich überzeugt.«
»Ganz meine Meinung«, sagte Habermehl. »Weiter.«
»Einen besonderen Schatz dürften die Umzugskartons enthalten. In einer mit Zinkblech beschlagenen Truhe fanden wir jede Menge Aufzeichnungen, Niederschriften, Tagebücher. Darf ich mal?« Engel öffnete einen Karton und kramte darin herum. Er holte ein Buch mit einem abgegriffenen Papp-Einband aus braun-marmoriertem Büttenpapier heraus. In den Einband war ein Tiefrelief eingeprägt, das den Umriss einer menschlichen Gestalt darstellte. Er schlug es auf. »Interessant, nicht?«
Mit dunkelblauer Tinte und verschnörkelter Handschrift stand dort Les annales de la fraternité des Enfants de Setech geschrieben.
»Und was heißt das?«, fragte Weinbrecht.
»Die Tagebücher der Bruderschaft der Kinder des Setech.« Lukas glänzte mit seinen Französischkenntnissen.
»Warum zeigen Sie uns das, Herr Engel?« Habermehls Stimme klang lauernd, als würde er die Antwort bereits kennen.
»Weil ich Ihnen die Kartons übergeben möchte. Da ich weiß, dass Ihr junger Kollege Französisch spricht, sind die Dokumente bei Ihnen in den richtigen Händen.«
Habermehl drehte sich zu Lukas um und blickte ihm tief in die Augen. »Da haben Sie uns was Schönes eingebrockt. Morgen was vor?«
»Nein.«
»Jetzt schon. Wir werden uns die Papiere vornehmen. Haben Sie einen Rollwagen für den Transport, Herr Engel?«
Lukas’ Mobiltelefon schellte, Jochen Knickriem. Ein kurzes Gespräch und der Besuchstermin stand fest. »Morgen früh um neun Uhr, Herr Habermehl. Soll ich wieder mit Herrn Beyer hinfahren?«
»Nein. Der Mann interessiert mich. Sie fahren mit mir. Wir nehmen Gleißners Waffe und das blutige Messer aus dem Keller mit. Und jetzt schieben Sie den Rollwagen rüber zu uns.«
Sonntag, 23. September 2001
S ollte sich Lukas ein weiteres Mal Habermehls Fahrkünsten anvertrauen? Die rasante Fahrt zum Gehöft von Bauer Kleebusch steckte ihm noch in den Knochen.
Wider Erwarten entwickelte sich die Fahrt zu einem gemächlichen Ausflug. Geruhsam schaukelte Habermehl seinen mehr als neun Jahre alten, weich gefederten Mercedes 240 D in Richtung Ettringen.
Lukas rutschte auf dem Beifahrersitz herum. Er war an die harten Sitze seines Bundeswehr-Geländewagens gewöhnt und fühlte sich auf den nachgiebigen in Habermehls Kutsche äußerst unwohl.
Es war dunstig an diesem Vormittag. Die feuchte bodennahe Luft des
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