Nemti
während des Praktikums wohnte. Ziellos spazierte er umher und setzte sich schließlich auf die Bank am Fischteich. Jan hatte mit seiner Prognose recht behalten. Der Komet ließ sich mit bloßem Auge gut beobachten. Nemti bot einen überwältigenden Anblick. Doch wie lange würde er noch so gut sichtbar sein?
Sein Blick tastete weiter am schwarzen Vorhang des Himmels entlang. Er versuchte, die verschiedenen Sternbilder zu erkennen. Aus den Augenwinkeln nahm er einen leuchtenden Streifen wahr, der rasch erlosch. Eine Sternschnuppe. Er schloss die Augen und wünschte sich etwas. Von seiner Mutter wusste er, dass diese Wünsche in Erfüllung gehen sollten. Er lächelte. Das Glück war ihm hold. Ein zweiter Meteor huschte über das Firmament. Es sah aus, als wäre er aus dem Sternbild des Großen Wagens gekommen.
Die Kühle des frühen Morgens ließ ihn frösteln. Über der großen Rasenfläche bildete sich Bodennebel. Ein leichter Wind zerfaserte ihn alsbald in einzelne Schleier, die fortwehten oder sich auflösten. Er ging zurück ins Haus. Im Arbeitszimmer zog er die Gardine beiseite und setzte sich an seinen Schreibtisch mit Blick zum Fenster. Das morgendliche Dämmerlicht wich dem Sonnenaufgang. Lukas liebte diese Morgen, wenn sich die Sonnenscheibe langsam über den Horizont erhob und ein warmes Licht verbreitete. Erste Strahlen fielen durch das Blätterwerk der Rotbuchen im hinteren Bereich des Gartens. Eine dünne Wolkenschicht trübte das Licht. Die Morgensonne weckte seine Lebensgeister.
Voller Elan betrat er Habermehls Büro und begrüßte ihn. »Wir müssen unbedingt reden, Herr Habermehl.«
»Das muss warten, junger Mann. Kriminalrat Brückner hat uns zu sich beordert.
»Was hat das zu bedeuten?«
»Ich fürchte, nichts Gutes. Er war gestern beim Kriminaldirektor in Koblenz, und ich vermute, dass es mit diesem Besuch zusammenhängt.«
»Muss ich denn mit hoch?«
»Ja. Das hat er ausdrücklich betont. Gehen wir.«
Habermehl saß vor dem wuchtigen Schreibtisch von Kriminalrat Wilhelm Brückner, rechts und links neben ihm Weinbrecht und Beyer. Die drei erinnerten an arme Sünder auf der Büßerbank. Lukas lehnte abseits an einem der großen Fenster, das zur Straße hinausging.
»Herr Dux, stehen Sie nicht herum wie bestellt und nicht abgeholt«, fuhr ihn der Kriminalrat an. »Setzen Sie sich gefälligst zu uns. Sie sind zwar Praktikant, aber es betrifft auch Sie.«
Er nahm auf einem freien Stuhl neben Beyer Platz. So hatte Lukas den Kriminalrat, der ansonsten einen freundlichen, fast väterlichen Eindruck auf ihn machte, noch nicht kennengelernt.
»Meine Herren, ich bin mehr als ungehalten«, sagte er mit zorniger Stimme. »Seit Wochen versetzt der Schlitzer unsere Gegend in Angst und Schrecken, und Sie sind nicht in der Lage, diesem Menschen Einhalt zu gebieten. Verdammt noch mal, Sie sind nicht bei der Polizei-Puppenbühne, die sich in Kindergärten und Grundschulen engagiert.« Brückners Augen versprühten Blitze. »Das ist die übelste Geschichte, die die Eifel bisher erlebt hat. Können Sie sich im Entferntesten vorstellen, wie sich die furchtbaren Taten auf die Psyche der Leute auswirken?«
Habermehl saß da mit versteinertem Gesicht. Weinbrecht und Beyer nickten Brückner schweigend zu. Jedes Wort der Kommissare hätte die Situation nur verschlimmert.
»Bewegen Sie Ihre lahmen Ärsche und finden Sie diesen Scheißkerl.« Brückner redete sich mit weiteren Kraftausdrücken in Rage. Mit hochrotem Kopf stand er schließlich auf und lief durch den Raum.
Seine Erscheinung beeindruckte: groß, schlank, mit grauen Schläfen und nach hinten gekämmtem Haar. Ein Mann der alten Schule. Ein Patriarch. Als solcher regierte er sein Königreich mit Autorität und Strenge. Rechtfertigungen und Ausreden duldete er nicht. Weinbrecht hatte Lukas erzählt, dass es bisher kaum jemand geschafft hatte, sich ihm gegenüber durchzusetzen. Auch Habermehl bildete keine Ausnahme.
»Ich will Ergebnisse sehen«, fuhr er mit barscher Stimme fort. »Fassen Sie den Irren und bringen Sie ihn hinter Gitter. Solange der frei herumläuft, ist keiner vor ihm sicher. Es gibt bereits drei Tote, die auf sein Konto gehen, und Sie haben nicht den leisesten Anhaltspunkt, wer der Kerl ist. Habe ich mich klar und deutlich ausgedrückt?«
Niemand antwortete.
»Vom Kriminaldirektor musste ich mir gestern ähnlich klare Worte anhören.«
»… und sofort an Ihre Untergebenen weiterleiten«, warf Lukas leise
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