Nemti
Sternwarte.«
»Verstehe.«
»Du hast dir den Kometen angesehen?«
»So oft wie möglich. Das letzte Mal heute Morgen. Ich hatte Glück, dass die Wolkendecke aufgerissen ist.«
»Ist dir aufgefallen, dass er an Helligkeit verliert?«
»Ja. Wie lange gibst du ihm noch?«
»In den nächsten Tagen kommt er dem Horizont immer näher und wird etwa in einer Woche kurz nach seinem Aufgang schnell im Licht der Dämmerung verschwinden.«
»Deine Stimme klingt bekümmert. Ist dir Nemti ans Herz gewachsen?«
»Außergewöhnliche astronomische Objekte faszinieren mich halt.«
»Irgendwie verstehe ich dich. Nemti war, nein, ist immer noch ein staunenswertes Objekt. Ihr habt sicher mit eurem Astrografen beeindruckende Fotos geschossen?«
»Leider habe ich nicht alle Bilder gesehen, aber die wenigen waren wirklich toll. Es ist angedacht, eine Dokumentation mit Erklärungen und vielen Fotos zu erstellen.«
»Eine Doku für Fachleute oder populärwissenschaftlich?«
»Ich denke, ein für jedermann verständliches Werk.«
»Gibt es genug Interessenten?«
»Zumindest einen – dich.« Jan lachte.
»Du hast mich durchschaut. Leg mir bitte ein Exemplar zurück.«
»Das mach ich gern.«
»Wie geht es deiner Mutter und deinem Opa?«
»Danke. Sie erfreuen sich bester Gesundheit. Ansonsten haben sich die beiden, wie immer, nicht viel zu sagen.«
Lukas vernahm im Hintergrund ein leises Läuten.
»Ich muss Schluss machen. Es hat geklingelt«, sagte Jan.
»Grüß die beiden bitte von mir und vielen Dank für deinen Anruf. Wir können ja wieder einmal telefonieren.«
»Gern. Machs gut.«
Lukas ging zurück ins Wohnzimmer und setzte sich in den Schaukelstuhl. Sachte wippte er hin und her. Aus der Stereoanlage ertönte leise Musik.
Jan war ein Freund. Er hatte ihn mit seiner Begeisterungsfähigkeit für Himmelsbeobachtungen angesteckt. Deshalb nahm er sich vor, noch öfter den Blick zum Himmel zu erheben und sich in der beobachtenden Astronomie kundig zu machen.
Sein Vater schenkte einen Brunello di Montalcino nach, den Lieblingswein der Familie.
»Waren das deine Kollegen?« Seine Mutter warf ihm einen besorgten Blick zu.
»Nein, nichts Dienstliches, auch kein neues Opfer. Jan war am Apparat.« Er brachte den Schaukelstuhl zum Stehen.
Ihr Gesicht entspannte sich. »Gott sei Dank.« Sie reichte ihm das Weinglas und setzte sich neben ihn in einen Sessel. »Es ist schön, einfach nur dazusitzen, der Musik zu lauschen und abzuschalten.«
Lukas nippte an seinem Glas. »Kommt ihr mit in den Garten, den Kometen betrachten?«
Seine Eltern saßen, den Kopf in den Nacken gelegt, auf der Bank am Fischteich. Lukas besorgte sich aus dem Gerätehaus einen Liegestuhl.
»Er wird schwächer«, sagte sein Vater nach einer Weile der stillen Bewunderung. »Aber immer noch faszinierend.«
»Mir ist kalt. Gehst du mit rein, Burkhard?«
Die Eltern gingen zurück ins Haus.
Lukas kam die morgendliche Beobachtung in den Sinn. Ein Meteor war zwischen den Sternen des Großen Wagens erschienen und nach kurzem Aufleuchten erloschen. Seine Blicke schweiften über das dunkle Firmament. Der Große Wagen geriet in sein Gesichtsfeld. Die sieben Sterne fesselten seinen Blick.
Kurz vor Feierabend hatte er im Kommissariat Pinnnadeln in eine Landkarte gesteckt. Wieso musste er ausgerechnet jetzt daran denken?
Er konnte sich seine plötzliche innere Unruhe sowie das schnelle Schlagen des Herzens nicht erklären. Schlagartig fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Die Deichselsterne. Konnte es möglich sein, dass er am Himmel etwas wahrnahm, was eine Entsprechung auf der Erde hatte? Etwas, was mit den drei Mordfällen zusammenhing? Das war geradezu utopisch, aber offensichtlich. Er musste das unbedingt am nächsten Tag überprüfen.
Donnerstag, 13. September 2001
K urz vor acht Uhr stürmte Lukas ins Büro. Er hatte es zum ersten Mal geschafft, vor Habermehl da zu sein. Achtlos stellte er die Aktentasche ab. Undefinierbare Geräusche unter Habermehls Schreibtisch ließen ihn aufhorchen. Der Kopf eines Mannes tauchte neben der Tischplatte auf.
»Sind Sie der Kollege vom Dezernat für Computerkriminalität?«, fragte Lukas.
»Ja. Herr Habermehl hat mich gebeten, ein Upgrade für eines seiner Programme zu installieren.«
»Ich weiß Bescheid. Sie kommen zurecht?«
»Lassen Sie sich durch mich nicht stören.«
Lukas verließ das Büro und ging hinüber zu Weinbrecht. Es gab Wichtigeres zu tun, als zum wiederholten Mal eine
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