Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)
rollten Äpfel und Zitronen, mariniertes Fleisch und Oliven dufteten aus den Tüten, und am liebsten hätte ich einfach in das große, auf dem Tisch liegende Schwarzbrot hineingebissen.
»Warum haben wir keine Einzelzimmer?« fragte ich mit der nöligen Stimme eines Pauschalreisenden. »Es scheint genug Räume zu geben.«
»Weil sie gerade renoviert werden«, sagte der Guru, ohne sich umzudrehen.
»Und wer kocht eigentlich?« Ich fand, dass nichts dabei wäre, wenn ich mir wenigstens eine Banane nehmen würde. Schließlich hatte Claudia auch für die Lebensmittel bezahlt.
»Du.«
Ich beschloss, das für einen Scherz zu halten, ließ ihn die Lebensmittel sortieren und zog weiter.
Die Villa hatte einen rollstuhlgerechten Fahrstuhl zwischen dem Erdgeschoss und der ersten Etage. Ich nahm die breite Treppe mit dem von vielen Händen glatt gestrichenen weinroten Geländer. Im ersten Stock, wo auch unser Zimmer lag, entdeckte ich ein halbes Dutzend Türen. Einige waren verschlossen. Hinter einer kicherte Kevin. Er hatte ein Zimmer mit Friedrich bezogen. Ich fragte mich, ob der Guru sich mit Richard einquartieren oder sich in diesem Fall eine Konzeptausnahme zugestehen würde. Und warum andere bei solchen Dingen immer mehr Glück hatten als ich.
Janne war natürlich nicht hier oben. Ich ging die Treppe wieder herunter, die Hand auf dem aufgewärmten Holz des Geländers. Ich hatte sie zuletzt kurz nach unserer Ankunft gesehen, als sie hinter der ihr zugewiesenen Tür im Erdgeschoss verschwand. Ihren Koffer hatte ihr der Guru hinterhergetragen.
Ich klopfte an ihre Tür.
Sie antwortete mir, fröhlich und einladend. Mit einer unbestimmten Freude darüber, dass sie sich anscheinend wohlfühlte, drückte ich den Türgriff herunter. Jannes Rollstuhl stand vor dem geöffneten Schrank, sie sortierte ihre Sachen ein. Das ist eben Mädchen, dachte ich. Ich zum Beispiel kam nicht auf die Idee, die Klamotten, die ich für eine Woche dabeihatte, aus meinem Koffer zu räumen.
»Kann ich dir helfen?« fragte ich.
Sie nickte.
Ich nahm einen Kleiderbügel von der Stange und reichte ihn Janne. Sie steckte den Bügel in den Ausschnitt eines Kleids, strich es glatt und gab es mir zurück. Ich hängte es auf. So ging es weiter, und nach dem siebten Kleid konnte ich es mir nicht länger verkneifen.
»Wie lange hast du vor, hierzubleiben? Oder willst du dich vor jeder Mahlzeit umziehen?«
»Was dagegen?«
Irgendwann hatten wir den Koffer tatsächlich ausgeräumt. Ich betrachtete die hängenden Kleider mit Spitze und Blümchen und Puffärmeln. Es sah aus wie in unserer alten Theatergarderobe, um die sich Lucy gekümmert hatte. Sie hatte ein gutes Händchen dafür. Überhaupt waren wir damals eine eingeschworene Truppe. Komischerweise machte es Lucy überhaupt nichts aus, im Hintergrund zu bleiben und zu Hause die gebrauchten Sachen zu waschen und zu bügeln, die sie in Secondhandshops und auf Trödelmärkten entdeckt hatte. Dabei tauchte ihr Name nicht einmal auf den Programmzetteln auf, auch nicht die Namen vieler anderer, die, wie mir damals vorkam, viel härter für unsere Vorstellungen arbeiten mussten als ich. Und mein Gesicht war auf jeder Eintrittskarte zu sehen. Hätten sie mich nicht eigentlich hassen müssen?
»Du passt ziemlich gut zu dieser Villa«, sagte ich.
Janne lächelte geschmeichelt.
Ich setzte mich ohne zu fragen auf ihr Bett. Ohne die Webcams musste ihr doch etwas fehlen. Das dilettantische Handgerät vom Guru war da sicher kein Ersatz. Am Fenster stand eine Kommode mit einem Spiegel, dort lagen eine Bürste und anderer Mädchenkram. Plötzlich war ich gerührt. Ich streckte die Hand aus und versuchte, die Finger der gerade vorbeifahrenden Janne zu erwischen.
»Gefalle ich dir?« fragte sie und sah mir in die Augen.
Ich wandte mich ab. Der Blick war scharf wie ein Messer. Ein Rasiermesser in Blümchen und Rüschen.
»Du bist sehr schön«, sagte ich. Ich hätte ihr gern etwas erzählt, was sie ein wenig mehr überrascht hätte.
Ich wollte sie wieder küssen. Wenn ich ehrlich war, war das genau der Grund, warum ich überhaupt hier war. Der einzige Grund und zugleich der dringendste. Ich wollte Janne küssen. Ich brauchte die ganze Woche nichts anders zu tun. Vielleicht auch ein ganzes Leben lang.
Ich zog sie zu mir.
Sie hob eine Augenbraue, ihr Arm wurde steif. Sie sah mich skeptisch und ein wenig kokett an, als wolle sie es mir nicht zu leicht machen. So guckte man jedenfalls niemanden an, vor dem man
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