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Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Titel: Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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erzählte, dass sein Freund Schauspieler war. Ich sah, wie sich Jannes Rücken sofort anspannte.
    »Was spielt er?« Irgendwas in ihrer Stimme klang anders als vorher.
    »Serien.«
    »Und wie kommt er mit dir zurecht?«
    Ich traute meinen Ohren nicht, dass sie das wirklich fragte. Es kam mir wie eine Mischung aus größter Taktlosigkeit und Dummheit vor. Schließlich fragte ich sie auch nicht: »Wie isses eigentlich so im Rollstuhl, Janne? Wie finden das die Jungs in der Nachbarschaft?«
    Kevin war nicht beleidigt.
    »Keine Ahnung«, antwortete er. »Ich kann dir überhaupt nicht sagen, wie er das aushält.«
    »Wahrscheinlich liebt er dich«, sagte Janne traurig.
    »Keine Ahnung«, wiederholte Kevin breit lächelnd. »Er ist schon ein bisschen älter.«
    Ich vertrieb mir die Zeit, indem ich auf Jannes Nacken herunterschaute. Ihr Haar war mit einer Spange hochgesteckt. Sie sah aus wie aus einem falschen Jahrhundert. Die Haut war zartrosa und unglaublich schutzlos. Ich hätte nie gedacht, dass man einen Mädchenhals eine Stunde betrachten konnte, ohne dass einem langweilig wurde. Im Gegenteil, eigentlich hatte ich keine Lust, je wieder etwas anderes zu tun. Eine schwarze Locke hatte sich aus dem Haarknoten gelöst, ich starrte sie an und hätte heulen können.

          Im Dorf gönnte ich Janne die Erfahrung einer gewissen Prominenz. Offenbar hatte mein Besuch beim Arzt bereits die Runde gemacht. Jetzt waren mehr Menschen auf der Straße als heute Mittag, und alle glotzten sich die Augen aus dem Kopf. Man konnte schwer sagen, ob sie es meinetwegen taten oder wegen Janne. Oder wegen Kevin in seinen hochhackigen Schuhen, mit der rosa Kappe auf dem Kopf und einem Handtäschchen, das er am langen Riemen hin und her fliegen ließ. Höchstwahrscheinlich war es die Mischung.
    Im kleinen Supermarkt stellten wir fest, dass Jannes Rollstuhl nicht durch den Gang passte, weil er voller Kartons stand. Ich wollte schon den Nachbargang ansteuern, aber Kevin hielt mich zurück. Er legte seine Handtasche auf Jannes Schoß und begann, die Kisten aus dem Weg zu räumen. Er hob sie auf und warf sie in den benachbarten Gang, zu den Paletten mit den Senfgläsern.
    »Ist schon gut«, flüsterte Janne, knallrot geworden. Auch der Nacken, das konnte ich von hinten sehen, war voller roter Flecken. Jetzt tat sie mir furchtbar leid, ich konnte ihr Gefühl der Peinlichkeit förmlich mit Händen greifen. Dann löste ich mich aus der Starre und begann, Kevin zu helfen. Einige der Kisten warf ich einfach hinter Janne, davon ausgehend, dass wir den Gang für den Rückweg nicht mehr brauchen würden.
    Ein kurzbeiniger Mann in der blauen Filial-Uniform eilte auf uns zu.
    »Stellt alles sofort zurück«, rief er mit hoher Stimme, die bei mir in Verbindung mit seinem Schnurrbart eine kognitive Dissonanz auslöste. Selbst Kevin hatte eine tiefere Stimme, wenn er nicht gerade versuchte, künstlich piepsig zu sprechen.
    »Wir kommen hier nicht durch.« Kevin reichte dem Mann eine der Kisten und lächelte arglos mit seinem geschminkten Mund. »Wir sind, das sehen Sie sicher, mit dem Rollstuhl da.«
    Der Mann nahm die Kiste, drückte sie kurz an seine Brust und stellte sie verdattert wieder ab.
    »Ihr könnt bei euch zu Hause randalieren«, sagte er, und seine unerträglich hohe Stimme machte mir Zahnschmerzen.
    »Wir randalieren nicht.« Kevin blieb seiner Sanftmut treu. »Wir versuchen, uns Zutritt zu verschaffen.«
    »Raus!« brüllte der Filialleiter plötzlich. Janne zuckte zusammen. Ich schob eine der Kisten mit dem Fuß beiseite, um am Rollstuhl vorbeizukommen und zu prüfen, ob sie nicht kurz vorm Heulen war. Zum ersten Mal geriet ich mit meiner ganzen Frontseite ins Blickfeld des Filialleiters. Offenbar hatte er mich bislang im Vergleich zu den beiden anderen als unauffällig empfunden. Er stöhnte fast lautlos, wich zurück, stürzte über eine der umgestellten Kisten und fiel der Länge nach auf den Rücken. Mit dem Fuß stieß er gegen eine Dosenpalette. Und dann wurde es laut und ziemlich dreckig.

          »ICH GLAUBE ES EINFACH NICHT!!!« Dass der Guru so schreien konnte, hätte ich nie gedacht. Er brüllte wie im Fußballstadion. Seine Spucke flog in alle Richtungen, ich duckte mich, damit sie mich nicht im Gesicht traf.
    »Psst«, sagte Kevin friedlich. »Die Polizei hört mit.«
    »DIE POLIZEI?«
    Wir hatten die Station noch gar nicht verlassen, aber dem Guru waren schon die Sicherungen durchgebrannt. Ich fand, dass er übertrieb.

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