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Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Titel: Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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die Hilflosigkeit in seiner Stimme passte wieder so schlecht zu ihm wie der Gesichtsausdruck, den er bei unserer Abreise nach Marenitz auf dem Berliner Hauptbahnhof gehabt hatte. »Und dann ist er einfach so hier eingeschlafen.«
    Tammy wankte und starrte Marlon aus aufgerissenen Augen an. Er lächelte kläglich an ihr vorbei.
    »Alles in Ordnung«, sagte ich und hob Ferdi hoch. Er war wieder nass geschwitzt und roch nach Roggenbrot. Ich schnupperte an seinen Haaren, dann nickte ich Marlon zu, als könne er es sehen, wünschte ihm noch eine gute Nacht und trug Ferdi hinunter in sein Zimmer.
    »Ich will später auch so einen haben«, sagte ich, nachdem Tammy ihren Sohn zugedeckt und die Kinderzimmertür von außen zugezogen hatte.
    »Nimm den hier«, sagte Tammy.

          Ich hatte nicht vor, in dieser Nacht einzuschlafen. Wie sollte es auch möglich sein, dachte ich, während der Lärm von unten durch den Boden in Tammys Schlafzimmer drückte und ich fürchtete, dass er ihn ausheben würde. Ich glaubte nicht, dass hier irgendjemand noch irgendetwas hören könnte. Mir war die ganze Zeit schwindlig, die Wände drehten sich, wir spiegelten uns überall gleichzeitig, und ich verwechselte oben und unten. Mir war, als wäre die Schwerkraft aufgehoben, als klebte ich wie eine Fliege an der Decke, und ich streckte meine Hände immer wieder nach Tammy aus, bis sie zurückwich und ein Kissen zwischen uns klemmte.
    »Reicht«, sagte sie brüsk. »Kann nicht mehr.«
    Ich fand es rührend, dass sie davon ausging, so ein Kissen könne mich aufhalten. Ich nahm es ihr weg und warf es dorthin, wo ich den Boden vermutete. Ich drückte ihre Stirn gegen meine Schulter, wie es die schwarz gewandeten Grauschläfen in ihrem Salon unten getan hatten. Sie war von Kopf bis Fuß nass und salzig. Ich wunderte mich, warum sie immer noch zitterte. Dann kapierte ich, dass sie weinte, und ich konnte nichts tun, außer sie im Arm zu halten und zu warten, dass es wieder aufhörte. Ich tat es mit aller Geduld, die mir zur Verfügung stand, und dachte kein einziges Mal, wann es denn endlich genug sei.

          Ich wachte auf, als Claudia an die Tür klopfte und fragte, ob Tammy vielleicht wisse, wo ich sei. Tammy lag mit dem Gesicht im Kissen, ich sah nur ihr büschelweise verworrenes Haar. Ich rüttelte sie an der Schulter, nichts passierte. Für einen Moment überlegte ich, wie Claudia reagieren würde, wenn ich jetzt antworten würde.
    Ich wartete ab, bis Claudias Schritte sich wieder entfernt hatten, und küsste Tammy auf das linke Schulterblatt, auf dem eine Eidechse eintätowiert war. Sie murmelte etwas und versuchte nach mir zu schlagen und erwischte mich mit dem Ellbogen an der Nase. Dann setzte sie sich abrupt im Bett auf. Mit ihrem verschmierten Gesicht hatte sie etwas von einem Clown.
    Sie schaute mich an, und ihr Blick klärte sich etwas. Dann sprang sie aus dem Bett.
    »Du musst sofort von hier verschwinden!«
    Ich seufzte. Sie lugte in den Flur, dann schob sie mich raus.
    Ich rannte hoch ins Dachgeschoss. Die hastig übergeworfenen Kleider, die ich vom Boden aufgeklaubt hatte, klebten an meiner Haut. Dass unterm Dach jetzt Marlon auf mich warten würde, machte mir nichts aus. Ich wollte ihm alles erzählen. Da er mich nicht einmal sehen konnte, würde es mir leichtfallen. Dann würde er etwas sagen, und ich könnte weiterleben.
    Marlon war nicht da. Die Reisetasche war auch nicht da. Das Bett war gemacht. Auf dem Nachttisch lag eine Socke von mir.
    Ich purzelte die Treppe hinunter.
    »Claudia! Was zum Teufel?«
    Die Küche war leer.
    Ich rannte durch die Räume. Dort, wo die Tische gestanden hatten, glänzten wieder die Fliesen. In der Küche lief die Spülmaschine. Ich kratzte mich im Nacken. Dann ging ich noch einmal nach oben und schaute in alle Zimmer bis auf Tammys. Niemand war da. Kein Friedrich, kein Richard. Keine Spur von Janne. Nicht einmal Claudia oder Evgenija. Und auch kein Ferdi.
    So musste es sich anfühlen, wenn man wahnsinnig wurde.
    Im Garten hörte ich ein schabendes Geräusch. Ich öffnete die Verandatür und hätte sie am liebsten gleich wieder geschlossen, aber er hatte sich bereits umgedreht.
    »Hallo, Dirk«, sagte ich, eingeklemmt zwischen halb zugezogenen Türen.
    Er hielt einen riesigen blauen Plastiksack in den Händen. Jetzt beugte er sich, hob etwas auf und warf es hinein. Ich hatte das Gefühl, schon vor Tagen in einer ähnlichen Szene mitgespielt zu haben.
    »Wusste nicht, dass du auch hier

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