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Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Titel: Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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bist.« Ich schirmte mein Gesicht mit der Hand von der Sonne ab. Erst jetzt fiel mir ein, dass ich schon wieder die Brille vergessen hatte. Ich entschuldigte mich.
    »Kein Thema.« Er blickte betont unverkrampft in meine Richtung. »Wir haben doch gestern schon miteinander gesprochen.«
    »Ehrlich?« Vor Überraschung nahm ich die Hand erst einmal wieder herunter.
    »Natürlich. Es tut mir leid, dass ich nicht schon vorher kommen konnte, um zu helfen. Musste ins Gericht, ging nicht anders.«
    »Kein Thema«, wiederholte ich seine Worte. »Und du warst gestern schon die ganze Zeit dabei?«
    Er ließ den Sack auf den Rasen fallen und stieg die Treppenstufen zur Veranda hoch. Streckte mir die Hand entgegen und umarmte mich, so sehr ich mich dagegenstemmte.
    »Lass es mich bitte noch einmal sagen, in aller Ruhe. Es tut mir so leid. Dein Vater muss ein wunderbarer Mann gewesen sein. Ich fühle mit euch.«
    Ich nickte, dann machte ich mich wieder frei und wandte mich gnädig ein wenig von ihm ab. Er ging zurück zum Müllsack.
    »Warte!« rief ich, besorgt, dass auch er sich in Luft auflösen könnte. Ich wollte ihn nach den anderen fragen, wusste aber nicht, wie.
    In diesem Moment hörte ich das vertraute Geräusch der Reifen auf dem Kiesweg, das Zuschlagen der Autotür, das Klickern der Absätze auf den Grabsteinfliesen.
    »Frühstück!« riefen Evgenija und Claudia gleichzeitig.

          Ferdi hatte gefragt, ob wir nicht auf der Veranda frühstücken könnten. Ich hatte in diesen Tagen noch nicht gehört, dass er überhaupt schon einmal um irgendwas gebeten hatte. Ich trug mit Dirk zusammen einen runden Tisch heraus. Claudia füllte Brötchen und Croissants aus einer kindsgroßen Tüte in einen polierten Bambuskorb.
    »Äh«, sagte ich. »Wo sind eigentlich …« Sie sah mich an. Ich wusste nicht, wie ich sie danach fragen sollte. Wenn sie mir meinen Wahnsinn anmerkte, würde sie sich garantiert noch mehr Sorgen machen.
    »Deine …?«
    »Ja.«
    Sie lächelte mit ihrem breiten Mund. Der Schneidezahn war rot vom Lippenstift. »Sie mussten den Zug heute früh nehmen. Wir haben sie gerade mit zwei Autos hingebracht. Wo hast du geschlafen? Der einzige Raum, in dem wir dich nicht gesucht hatten, war die Garage. Warst du dort?«
    »Ja.«
    Sie knuffte mir in die Rippen. Ich hielt ihre Hand fest.
    »Claudia«, sagte ich. »Ich hab dich nicht verdient.«
    »Ich weiß.« Sie stellte Marmeladengläser auf ein Tablett und schob es mir in die Hände. Die Milch und die Kaffeekanne gab sie Dirk, der daneben wartete.
    »Jetzt geh schon«, sagte sie zu ihm, weil er sich nicht vom Fleck rührte und sie mit offenem Mund anstarrte. »Hast mich noch nie gesehen, oder was?«
    Ich ging ganz schnell hinaus. Ferdi kippelte mit dem Stuhl, genau so, wie ich es auch immer machte. Aber er konnte es noch nicht gut. Beim nächsten Schwung würde er umkippen und mit dem Hinterkopf auf die Platten knallen. Ich stellte mir vor, was dann passierte. Ich stoppte den Stuhl exakt dann, als er den kritischen Punkt überschritten hatte. Ferdi hatte es nicht mitgekriegt. Er war sauer, bis ich ihn hochhob und mir auf die Schultern setzte.
    »Bleib«, sagte Ferdi von oben. »Alle anderen sollen fahren, aber du musst bleiben.«
    »Ich bleibe«, sagte ich. »Noch einen ganzen Tag.«

          Am Ende blieb ich zwei Tage, einen ganzen Tag länger als Claudia und Dirk, einen halben länger als Tammys Mutter. Claudia und Dirk mussten arbeiten. Dirk wartete neben der geöffneten Beifahrertür, während Claudia erst Tammy, dann ihre Mutter umarmte. Dann streckte sie die Arme nach mir aus, überlegte es sich aber anders und kniff mir in die Wange.
    »Tu mir doch nicht immer so weh, Mutter«, sagte ich.
    Sie spähte in mein Gesicht und schüttelte den Kopf, als hätte ich schon wieder irgendetwas falsch gemacht. Als hätte ich alles in meinem Leben falsch gemacht. Alle schauten interessiert zu. Es war nicht der Moment, um ihr irgendwelche Fragen zu stellen.
    »Fahrt vorsichtig«, sagte ich, und dann waren sie weg.
    Mama Jenny übte die ganze Zeit bis zu ihrer Abreise ein russisches Gedicht mit Ferdi. Ich fragte nicht, ob ich sie auch zum Flughafen begleiten sollte. Ferdi kam ebenfalls nicht mit. Ich hielt ihn auf dem Arm, als wäre er drei und keine sechs, damit seine ukrainische Großmutter sich nicht bücken musste, um ihn zum Abschied zu küssen. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass sie ihn skeptisch ansah, als würde sie irgendetwas an ihm stören. Im Grunde

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