Neobooks - Dreck muss weg!
Briefkuvert hoch, formte lautlos mit den Lippen:
»Von Jay.«
»Es gibt nichts, das wir nicht klären können, Eliza.«
Eliza verkroch sich tiefer in die Decke.
»Lass sie.«
Emma legte den Zeigefinger auf ihren Mund und schickte Kalle die Luftpost. Der Umschlag segelte auf den Tisch. Die blauäugige Blondine auf der Briefmarke kam Kalle bekannt vor. Fünfzig Jahre Barbie. Auch nicht mehr die Jüngste. Was hatte sie im Gepäck? Kalle fingerte nach dem Brief und faltete das Papier auseinander:
Liebe Eliza, es tut mir so furchtbar leid, dass ich Deine Ferien verdorben habe. Es ist alles meine Schuld. Ich habe beschlossen, mich stationär aufnehmen zu lassen. Wie lange ich im Krankenhaus bleiben muss, weiß ich noch nicht. Sobald ich wieder gesund bin, hole ich Dich nach Berlin. Du bist meine Tochter! Kinder gehören zu ihren Müttern. Ich liebe Dich! Herzlichst, Deine Mutter Jay.
Gut, dass Jay noch einen Rest an Verstand besaß und sich in die Obhut von Ärzten begeben hatte. Kalle hätte sonst für ihre makellose Fassade keine Garantie mehr abgeben können.
»Ich hätte den Brief vorher lesen sollen.« Emma setzte sich an den Tisch. Sie sah noch schmaler und blasser aus als Marga. »Ohrfeigen könnt ich mich.«
Wo war die Emma von heute Morgen geblieben? Plötzlich wurde Kalle bewusst, dass auch ihre Kräfte endlich waren.
»Es ist nicht nur das«, flüsterte Emma, »ich bin bei den Grünen ausgetreten.«
Emmas Gedankensprünge waren schlimmer, als die von Guntbert Meyer es je sein könnten. »Was hat das jetzt mit Eliza zu tun?«
»Alles. Nenn mich naiv. Ich stand hundert Prozent hinter den grünen Zielen. Was ich bis vor ein paar Tagen nicht wusste: Es sind auch Pädophile Mitglieder. Die Schweine wollten den Paragraphen 176 des Strafgesetzbuches abschaffen.«
»Sexueller Missbrauch von Kindern? Bist du sicher? Das Strafgesetzbuch hat viele Paragraphen. Da kann es schon mal zu Verwechslungen kommen …«
Eliza schlurfte mit einem leisen »Muss mal« aus der Küche.
»Nichts da Verwechslung. Ich bin nicht senil. Es gab eine Splittergruppe, die sich SchwuP nannte. Steht für Schwule und Pädophile. Ich könnte kotzen.« Emmas Stimme war so laut, wie sie klar war.
Die Kräfte waren zurück. Das Feuer brannte also wieder.
»Das heißt doch nicht, dass die immer noch dabei sind.«
»Ach, die haben sich in Luft aufgelöst, oder wie?«
»Und woher hast du deine Informationen?«
»Von einem Redakteur, der damals bei der
taz
gearbeitet hat.«
»Wann war damals?«
» 1985 .«
»Meine Güte, das ist doch längst Geschichte.«
»Ja, verdrängen und den Mantel des Schweigens darüberlegen. Das kommt mir nur zu bekannt vor.« Emma schlug mit der Faust auf den Tisch. »Hier geht es ums Prinzip.«
Instinktiv hielt Kalle die Klappe. Sein Bedarf an weiterem Ärger war so was von gedeckt.
»Ich geh erst mal auf den Markt. Irgendwelche Wünsche?«
Eliza steckte den Kopf durch die Küchentür: »Eis.«
Die Krabbe hatte die ganze Zeit zugehört? Na wunderbar. »Wieder besser?«
»Mhm. Papa? Pädophile, sind das Kinderficker?«
Kalle stöhnte innerlich. »Ja, manche Leute sagen das.«
Für Eliza schien das Thema erledigt zu sein. Sie wandte sich ab und nuschelte etwas, das sich anhörte wie
Muss Laura simsen.
Sich mit der Freundin auszuquatschen, das war bestimmt nicht die schlechteste Medizin, wenn es um Herzensangelegenheiten ging. Kalle sah Eliza nach, wie sie über den sonnendurchfluteten Flur schlurfte, gefolgt von der Decke, die den Feinstaub von den Holzdielen fegte. Was für ein Tag. Erst jetzt bemerkte Kalle das kleine Kärtchen, das zwischen den grünen Blättern der Rose steckte.
Schön war’s. Auf bald? Kurt.
Wer zum Teufel war Kurt?
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Kapitel 45
Hamburg-Winterhude, Semperstraße
M argas Hand war fest verankert am Griff im Autohimmel, während Jette den Wagen vorwärts-rückwärts-seitwärts-ran durch die Fahrspuren springen ließ. Xenia Borg wohnte in Winterhude, nach Jettes Empfinden lag das anscheinend mitten auf der Strecke Paris-Dakar. Marga konnte Jettes Fahrstil heute so gar nichts abgewinnen. Die letzte Nacht war einfach nur entsetzlich gewesen. Ein ganz gemeiner Magen-Darm-Virus hatte sie erwischt. Montezumas Rache mitten in Hamburgs gemäßigten Zonen. Und ihr wurde schon wieder übel. Warum musste Jette auch so verdammt schnittig fahren? Marga presste die Hand auf den Mund, weil sich ihre Speichelproduktion schlagartig vermehrte. Jette. So nah und doch so fern. Der Damm
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