Neobooks - Dreck muss weg!
Sehen her kannte. Und was hat sie mir von dem vorgeschwärmt. Kerstin, so ein elegant gekleideter, netter Mensch, immer freundlich, immer höflich, der hatte noch Manieren der ganz alten Kavaliersschule. Stell dir vor, er soll ein Mafiaboss sein! Tja, lass dich niemals von der Oberfläche verarschen, stimmt’s, Kalle?« Kerstins Lachen war versiegt.
»Mir geht es eher andersrum. Vor lauter Verbrechervisagen finde ich die netten Mitmenschen nicht wieder.«
»So, meinst du?«
Da waren sie wieder, die Grübchen. Kalle beschlich das Gefühl, dass Kerstin Brockmann sich über ihn lustig machte. Psychologen. Genauso schlimm wie Pathologen.
»Ende März bin ich in Elizas Schule. Mal gucken. Ich bin schon sehr gespannt auf die Kinder.«
»Na ja, Kinder sind das nicht mehr wirklich. Eliza fängt an, sich zu schminken. Dass weniger mehr sei, will sie mir nicht glauben, nennt mich Spießer. Über bauchfrei und Rocklängen fangen wir an zu streiten. Es sei ihr Körper, und ich habe sowieso keine Ahnung von Frauen. Das ist eine Anspielung auf mein … wie soll ich sagen … angespanntes Verhältnis zu ihrer Mutter.«
»Schock dein Kind, lies einen Elternratgeber. Diesen zum Beispiel.« Ein paar Mausklicks, und Kerstin fand, was sie gesucht hatte. »J. Juul,
Pubertät – wenn Erziehen nicht mehr geht. Gelassen durch stürmische Zeiten.
Ich schick dir den Link, okay?«
»Danke.« Kalle stand auf, drehte den Stuhl in der Luft und stellte ihn wieder an seinen Platz. »Gibt es eigentlich Statistiken, wie häufig Pädophile sich über das Internet an Minderjährige ranmachen?«
»Spontan kann ich nur mit einer ganz aktuellen Studie des Deutschen Jugendinstituts dienen. Danach hat sich fast jede zweite Schule in Deutschland in den vergangenen drei Jahren mit mindestens einem Verdachtsfall von sexuellem Missbrauch auseinandersetzen müssen. Die meisten Verdachtsfälle spielen sich im familiären Umfeld ab. Oder salopp formuliert – zu Hause ist es für Kinder am gefährlichsten.«
»Mir geht das Messer in der Tasche auf.«
»Es ist nicht allein der Missbrauch an sich, der den Opfern zu schaffen macht, sondern auch das Schweigen und Wegsehen derer, die ihn geschehen lassen. In vielen betroffenen Familien gibt es so etwas wie ein ungeschriebenes Gesetz der Solidarität mit den Tätern, während den Kindern kein Glauben geschenkt wird.«
»Schweine. Ich würde kurzen Prozess machen.« Kalle fuhr mit dem Zeigefinger quer an seiner Kehle entlang.
»Bestimmt.« Kerstin lachte.
»Im Ernst, ich hätte kein Vertrauen mehr zu niemandem.«
»Ja, mit so einer Biografie ist es sicher nicht einfach, eine Beziehung einzugehen. Die kann sich wie ein Minenfeld gestalten. Der Missbrauch kann zur Zerreißprobe führen oder zum Fixpunkt werden, um den sich das Leben beider Partner dreht wie ferngesteuert.«
Kalle sah auf die Uhr. »Ich muss leider wieder …«
»Kinder sind auf unser aller Fürsorge angewiesen. Hinsehen, zuhören, handeln. Je eher professionelle Hilfe eingeschaltet wird, desto besser.«
»Du wirst nicht arbeitslos werden, Kerstin.«
»Du doch auch nicht.«
»Danke dir. Tür offen lassen?«
Kerstin nickte. Irgendwie beruhigend, dass sie da war. Falls mit Eliza etwas wäre … Kalle brachte es nicht fertig, den Gedanken zu Ende zu denken.
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Kapitel 47
Ostfriesland
M arga hatte die Nacht überlebt, oh Wunder, die eine oder andere Stunde tief geschlafen, und der Kamillentee war auch dringeblieben. Es ging bergauf. Beim Zähneputzen säuselte ihr Handy. Ein Anruf. Es war Harm.
»Frau Lorei ist vernehmungsfähig.«
Zahncreme tropfte von Margas Zahnbürste – und ihr Magen hüpfte nach oben.
»Kann ich dabei sein?«
»Deshalb ruf ich an. Der Anwalt von der Lorei macht einen ziemlichen Wind, ich möchte nicht, dass irgendwas auf uns zurückfällt.«
»Wann soll das Ganze stattfinden?«
»Heute. Eine dienstliche Anweisung hab ich schon an den Meyer gemailt, wäre schön, wenn du dich freimachen könntest.«
Und wie sie konnte. Marga sprang wie eine Gazelle durch den Raum und packte ihre Sachen. Ihre Hose ließ sich erstaunlich leicht schließen und warf am Po Falten. Obwohl Marga keinen Hunger und erst recht keinen Bock hatte, Jette im Speisesaal über den Weg zu laufen, ging sie hinunter und frühstückte. Nach dem Telefonat mit einem säuerlichen Guntbert Meyer und einer Erklärung ihrerseits war sie für die nächsten Tage vom Hamburger Einsatzplan gestrichen. Xenia Borg schwamm irgendwo im
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