Neobooks - Hinter verborgenen Pfaden: Der geheime Schlüssel I (German Edition)
und Mauern bewegten sich unzählige Menschen. Die Geräusche reizten seine angespannten Sinne. Die meisten der Menschen waren auf die eine oder andere Art beladen, manche trieben Tiere vor sich her, die entweder ihre Last trugen oder knarrende, ächzende Karren hinter sich herzogen. Es gab so viele unterschiedliche und laute Geräusche, die Leron’das nicht einordnen konnte, dass ihm schon nach kurzer Zeit der Kopf brummte. In dem ganzen Lärm riefen sich die Menschen mehr oder weniger freundliche Worte zu, und er fragte sich, wie sie überhaupt wussten, wer gemeint war. In der Straße stank es erbärmlich nach Tieren und Rauch, nach geschmolzenem Eisen und nassen Fellen, und auch die Menschen rochen unangenehm nach Schweiß und Fäulnis. Manche spuckten auf die Straße, grinsten aus zahnlosen Mündern und fluchten mit Worten, die er noch nie zuvor gehört hatte.
Staunend stand er mitten auf der Straße und beobachtete das Treiben.
»Halt hier nicht Maulaffen feil! Scher dich zur Seite!«, brüllte jemand hinter ihm. Leron’das drehte sich mit großen Augen um. Ein Mann mit einem Esel, auf dessen Rücken ein mächtiges Holzgestell bedenklich schaukelte, sah ihn aus einem düsteren, bärtigen Gesicht böse an.
»Wird’s bald was?«, brüllte er nochmal, und als Leron’das zur Seite sprang, knurrte er bloß noch: »Dämlicher Bauerntrampel.« Etwas verwirrt sah ihm Leron’das hinterher, als er plötzlich am Arm gepackt wurde.
»Du bist wohl noch nie hier gewesen?« Ertappt sah Leron’das zu der alten, zahnlosen Frau hinunter und schüttelte den Kopf.
»Du musst wohl auch zur Einberufung. Bist du denn überhaupt schon sechzehn?«
Leron’das nickte, auch wenn er keine Ahnung hatte, wovon die Frau sprach.
»So ein junger Bursche.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber hier bist du ganz verkehrt. Du musst rüber zum Nordtor und dann hoch zur Burg rauf.« Sie deutete in Richtung der Häuser, hinter denen sie irgendwo das Nordtor vermutete. »Wo kommst du denn überhaupt her?«
Leron’das tat wie sie, er deutete zum Waldtor hinaus.
»So viele junge Leut kommen jetzt her, es ist ein Jammer. Komm mit, ich zeig dir den Weg zum Tor.« Wieder packte sie ihn am Arm und zog ihn mit, dabei murmelte sie: »So dünn ist er, und Schuh hat er auch keine, aber Hauptsache einen Bogen hat er dabei.« Laut sagte sie dann: »Ich muss noch rauf zum Friedhof, von dort aus findest du dann auch allein zum Tor. Es ist eine Schande, die ganzen Männer hier zu Soldaten machen, und wer soll dann die Arbeit erledigen? Das sind doch bloß Hirngespinste, denen ihr hinterherjagt.« Sie zog ihn in eine enge Gasse, die vollständig im Schatten der Häuser lag. »Glaub ’ner alten Frau, die schon viel erlebt und gesehen hat. In dem Wald werdet ihr nichts finden, da gibt’s nichts als alte, knorrige, böse Bäum. Was dem da oben in der Burg fehlt, ist eine Frau, die ihm ab und zu die Flausen aus dem Kopf treibt. Na ja, mich fragt ja keiner.« Sie seufzte tief, als ob man ihr ein großes Unrecht getan hätte.
»Bist du wirklich schon sechzehn?«, fragte sie abermals.
»Ja, das bin ich«, antwortete Leron’das und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als er sich vorstellte, dass diese alte Frau wahrscheinlich deutlich jünger war als er selbst.
»Ja, ja, ihr jungen Männer, für euch ist das alles bloß ein Abenteuer. Ihr wisst halt nichts vom Leben. Als ob es nicht schon ohne Krieg schwer und traurig genug wäre. Da oben am Kirchenanger«, sie deutete mit dem Kinn nach vorne, »wird heut eine junge Frau beerdigt. Ihr Kindchen ist jetzt ganz allein auf dieser Welt.«
»Was ist geschehen?«, fragte Leron’das und versuchte seiner Stimme einen ähnlichen Singsang zu verleihen, wie der, in dem die Alte sprach.
»Kindbettfieber, heißt es«, murmelte die Alte. »Das behauptet der Schmied, weil er nicht will, dass so viel getratscht wird.« Sie senkte die Stimme. »Man erzählt sich, dass sie überfallen wurde. Ihr Mann soll in die Wolfschlucht gestürzt sein. Als sie hier ankam, war sie bereits krank – schwer krank, wenn selbst die Phine ihr nicht helfen konnte. An der bleibt jetzt ohnehin alles hängen. Nachdem sie den Großen fortgeschickt haben … Na ja, ist vielleicht besser so, sonst hätt der jetzt auch bald zu den Soldaten gemusst.«
Leron’das verstand die Zusammenhänge nicht, aber er nickte nachdenklich.
»Hast du noch Geschwister?«, fragte die Alte.
»Nein«, antwortete er.
»Dann war deine Mama bestimmt ganz schön
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