Neobooks - Hinter verborgenen Pfaden: Der geheime Schlüssel I (German Edition)
getrunken. Gierig zerbiss er die Frucht. Sie war säuerlich, aber ihr Saft überschwemmte seinen Mund, und als er sie hinuntergeschluckt hatte, spürte er, wie seine trockene, geschwollene Zunge sich entspannte. Zauberei, dachte er bei sich, und versteckte den Keks, denn fürs Erste fühlte er sich so wohl wie seit Tagen nicht mehr. Mit einem Fingernagel versuchte er ein kleines Loch in die zweite Frucht zu bohren und träufelte den Saft auf die Lippen des Jungen. Erst geschah nichts, aber nach dem dritten Tropfen erschien seine Zunge zwischen den Lippen, und er begann gierig den Saft zu trinken. Fast unmittelbar danach schlug er die Augen auf.
Sein Blick irrte ziellos im Raum umher.
»Gut, dass du wach bist«, flüsterte Walter und merkte, dass er sich wirklich freute, in seinem Elend nicht mehr alleine zu sein. Er hatte ein schlechtes Gewissen, als er daran dachte, dass er erst vor kurzem fest entschlossen gewesen war, den Jungen zu töten.
»Wer bist du?«
»Walter … Ich brachte die Sachen des Lehrers hierher …« Wurden sie wohl belauscht? Er legte dem Jungen beide Hände auf den Mund, als dieser zum Sprechen ansetzte.
»Sag nichts, solange wir hier drin sind.« Ich habe hier bereits alles erzählt, was ich weiß …, dachte er. Wieder spürte er Verzweiflung in sich aufsteigen und wendete sich ab. Sie waren hier drin verloren. Und wenn dieses Ungeheuer, alles was er wissen wollte, aus ihnen herausgepresst hatte, würde er nicht zögern, sie zu töten.
Walter hielt immer noch den einen Keks in der Hand. Stumm reichte er ihn dem Jungen. Als der den Keks nahm, glitt ein glückliches Lächeln über seine Züge.
In diesem Moment ertönte draußen ein Pfiff. Walter rutschte so schnell er konnte unter die Öffnung in der Mauer.
»Ja?«, flüsterte er.
»Könnt ihr kämpfen?« Die Stimme war so leise, dass man sie mehr ahnen als hören konnte.
»Wir sind gefesselt«, hauchte Walter zurück. Er sah zu dem Jungen hinüber, der hoffnungsfroh lächelte, sich aber nicht aufrichten konnte.
»Nimm erstmal das.« Wieder wurde ein Beutel an einem Seil zu ihm herabgelassen, darin befand sich ein kleines Messer. Als Walter es hatte, flog der Beutel zu der Maueröffnung hinaus, dann war es draußen wieder still. Walter rutschte mit dem Rücken an der Wand hinunter, klemmte sich das Messer zwischen die Knie und begann seine Hände zu befreien, dann schnitt er seine Fußfesseln durch und ging mit unsicheren Schritten zu dem Jungen, um auch dessen Fesseln zu entfernen. Wortlos drehte der sich so hin, dass Walter mit einem einzigen Streich das gespannte Seil durchtrennen konnte. Die dunklen Striemen an seinen Handgelenken waren selbst in diesem dämmerigen Raum deutlich zu sehen. Der Junge rieb die Stellen, um wieder Leben in seine Hände zu bringen. Walter setzte gerade das Messer an, um auch seine Fußfesseln durchzuschneiden, als plötzlich die Tür aufflog. Vor Schreck fiel ihm das Messer aus der Hand. Sein Herz setzte einen Schlag aus, ehe es wie wild zu hämmern begann. Hektisch tastete er den Boden nach dem Messer ab, aber er konnte den Blick nicht von dem zugeschwollenen, hasserfüllten Gesicht des Priesters wenden.
»Euch ist nach reden zumute! Dann redet mit mir«, donnerte er, aber Walter bemerkte einen gehetzten Ausdruck in seinen Augen, als er erkannte, dass seine Gefangenen nicht mehr gefesselt waren. Auf ein Zeichen betrat der Schänder den Raum. In diesem Moment bekam Walter das Messer wieder zu fassen. Ohne auf seine Schmerzen zu achten, zog er es über die Stricke an den Beinen des Jungen, aber da packten ihn bereits die groben Hände bei den Schultern und rissen ihn hoch wie eine Marionette in einer Schaustellerbude. Walters Beine baumelten über dem Boden, aber das kleine Messer hielt er fest in seiner Hand. Er konzentrierte seine ganze Aufmerksamkeit darauf. Kaum hatte er wieder festen Boden unter den Füßen, rammte er dem Schlächter das Messer ins Bein. Es blieb stecken. Der Mann ließ ihn augenblicklich los, fasste an sein Bein und zog das Messer heraus. Ein Blutstrahl spritzte aus der Wunde, und das Messer fiel klirrend zu Boden. Die Zeit schien einen Moment stillzustehen. Eingefroren wie in einem Gemälde. Aus dem Augenwinkel sah Walter, wie der Junge mit seinen Fesseln rang, sich aber nur langsam aus ihnen befreien konnte. Er selbst war zwar frei, aber unbewaffnet. Da bemerkte er am Rande seines Blickfeldes eine Bewegung. Der Priester war aus dem Türrahmen gewichen, und zwei weitere große,
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