Neobooks - Hinter verborgenen Pfaden: Der geheime Schlüssel I (German Edition)
fragte Walter ungläubig. Auch Philip zweifelte. Warum sollten sie neben diesem Bach lagern, wo sie doch alle anderen Bäche gemieden hatten?
»Wir sind immer noch auf der Flucht«, gab Walter zu bedenken. »Das hast du uns heute mehr als einmal vor Augen geführt.«
Leron’das nickte. »Aber das ist eine Silberpappel, unter ihr werden wir sicher sein«, antwortete er bestimmt. Philip folgte seinem Blick.
Im Gegenlicht musterte er den hohen, schlanken Umriss des Baumes, dessen flirrende Blätter im leichten Atem des Windes glänzten.
Walter zuckte mit den Schultern.
»Wenn du meinst. Doch was ist mit dem Bach? Ich hoffe, du willst mir damit nicht sagen, dass ich für heute den Mund halten soll.«
»Kein schlechter Vorschlag«, gab Leron’das schmunzelnd zurück.
Walter versuchte ein grimmiges Gesicht zu machen, doch die heitere Gelassenheit des Elben wirkte ebenso beruhigend, wie ihn seine Anspannung den ganzen Tag über in Atem gehalten hatte.
»Heute Nacht, mein Freund, darfst du reden, so viel du willst. Die Silberpappel ist der Schutzbaum meiner Familie. Unter ihr kann ich meine Fähigkeiten am besten nutzen. Sie stärkt mich durch ihre Anwesenheit und bietet uns heute Nacht Schutz vor ungebetenen Ohren und ungebetenen Blicken.«
»Wieso Ohren?«, fragte Philip.
»Es ist nur ein Verdacht«, sagte Leron’das. »Ich glaube, dass die Zauberer die Wege der Bäche benutzen. Gestern Nachmittag fiel es mir zum ersten Mal auf. Das Wasser scheint mir in seinem Innersten getrübt. Auf eurem weiteren Weg solltet ihr euch von jedem Gewässer fernhalten. Sprecht nicht über eure Ziele oder eure Herkunft, wenn ihr in der Nähe von Bächen weilt, und bleibt nicht zu lange an so einem Ort.« Er sah erst Philip, dann Walter an. »Sie suchen uns.«
»Leron’das! Da fließt ein Bach!«, rief Walter.
»Sie schützt uns«, antwortete der Elbe gelassen. Sein Blick glitt den silbergrauen Stamm nach oben, bis zu der verzweigten, leicht nach Osten geneigten Krone. »Sie schützt uns.«
Das leise Klimpern von Philips Kettenhemd schien mit dem Rauschen der Blätter zu harmonieren. Gerne hätte er mit Leron’das darüber gesprochen, doch dieses Geheimnis wollte er hier und jetzt nicht mit Walter teilen.
Leron’das entzündete ein kleines Feuer, während Philip und Walter ihre Decken so vorsichtig wie möglich zwischen den unzähligen silbernen Sprösslingen der Pappel aufrollten.
Plötzlich hielt Walter in seinen Bewegungen inne.
»Gib mir deinen Bogen, Leron’das. Schnell!«, zischte er.
Keine fünfzig Schritte entfernt hoppelte ein Kaninchen über die Wiese. Lauschend richtete es sich auf, witterte mit seinem weißen Näschen und war im nächsten Augenblick verschwunden. Enttäuscht setzte sich Walter auf seine Decke und starrte missmutig ins Feuer, in das Leron’das einige in Blätter gewickelte Wurzelknollen gelegt hatte.
»Du trägst diesen Bogen ständig auf dem Rücken«, brummte er vorwurfsvoll. »Die Hasen laufen vor deinen Füßen, aber du zeigst uns immerzu nur die Beeren und Blumen, die man essen oder kochen kann.« Leron’das zog eine Augenbraue hoch und sah Walter fragend an. Philip kicherte.
»Er hätte gerne einen gebratenen Hasen über dem Feuer, und ich hätte, ehrlich gesagt, auch nichts dagegen«, erklärte er.
»Dafür trage ich den Bogen nicht«, sagte Leron’das steif. »Niemals töten wir ein Tier, das noch gesund und unverletzt unsere Wege kreuzt. Selten essen wir ihr Fleisch.«
»Aber ihr geht doch auf die Jagd?«, fragte Philip. Er war ein wenig verwirrt, denn er erinnerte sich, das Leron’das das einmal erwähnt hatte.
»Aber nicht so, wie die Menschen das tun.« Leron’das setzte sich im Schneidersitz vor das Feuer und legte ein paar Stöckchen auf. »Wir suchen die kranken Tiere, die ihre Art gefährden. Es gibt Krankheiten unter den Wölfen und Füchsen, die sich zu einer wahren Seuche entwickeln können. Vielleicht werdet ihr mehr davon erfahren, wenn ihr weiter nach Westen kommt, in jene Gebiete, in die uns unsere Wege nicht mehr führen.«
Walter und Philip sahen sich enttäuscht an. Diese Enttäuschung hielt jedoch nicht lange an. Als Leron’das die Wurzeln aus der Glut holte, bescherte er ihnen damit eine köstliche, schmackhafte Mahlzeit, die sie den Hasen bald vergessen ließ.
Ala’na stand stumm vor dem See und starrte in das trübe Wasser. In all den Jahrhunderten, die sie nun täglich hierherkam, hatte es so etwas noch nicht gegeben. Latar’ria sprach nicht
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