Neongrüne Angst (German Edition)
sich als Leon Schwarz vom »Delmenhorster Kreisblatt« vorzustellen. Er war gleich wichtig. Man erklärte ihm etwas. Natürlich wollte die Schule in der Öffentlichkeit gut dargestellt werden.
Da er einen Fotoapparat dabeihatte, sahen sich ein paar Mädchen auch gleich nach einem Spiegel um und ordneten ihre Frisuren.
Eine amerikanische Schülerin mit wunderbaren langen blonden Haaren hatte entweder etwas im Auge, oder sie zwinkerte ihm schon zum dritten Mal zu.
Verglichen mit ihr war Johanna wahrscheinlich das, was man eine graue Maus nannte, vielleicht, weil sie manchmal so merkwürdig spießig war, so altmodisch. Weil sie die Dinge hinterfragte, nicht bei jedem Mist mitmachen wollte.
Sie hatte mal zu ihm gesagt: »Es gibt Leute, die machen aus jeder Wüste einen Garten, und es gibt welche, die machen aus jedem Garten eine Wüste. Die Frage ist, zu welcher Seite wir gehören wollen.«
Als die blonde Amerikanerin aufstand und sich aus der hinteren Reihe zu ihnen nach vorne bewegte, sah Leon erst, dass sie fast einen Kopf größer war als er und nicht nur tolle lange Beine hatte, sondern auch noch einen extrem scharfen Minirock.
Johanna, dachte er, würde nie im Leben so rumlaufen.
Immer wieder drängte sich Johanna in sein Bewusstsein und nahm viel von seiner Aufmerksamkeit in Anspruch. Die Fragen, die er stellte, wirkten unkonzentriert, ja unüberlegt. Er ärgerte sich über sich selbst. Es musste ja nicht jeder hier merken, dass er ein Anfänger war.
Er schrieb ein paar Sachen auf seinem Block mit. Die blonde Amerikanerin stand jetzt ganz nah bei ihm und sah aufs Papier. Das machte Leon noch nervöser.
Sie lachte auf eine Art, wie nur Amerikanerinnen lachen können, und zeigte auf Leons Notizen. Er hatte einen Namen falsch notiert.
Sie buchstabierte den Namen jetzt, aber als sei sein Gehirn völlig leergefegt, schrieb er ihn erneut falsch.
Sie nahm ihm den Stift und den Zettel ab und malte dann die Buchstaben ganz langsam, groß und deutlich für ihn aufs Papier. Es war der Name ihres Lehrers.
Dann stellte sie sich ihm vor. »Megan Black.«
Nun nannte er seinen Namen: »Schwarz«.
Daraufhin lachte sie ihn breit an, als hätte er nur einen Scherz gemacht. Weil er so verständnislos guckte und nicht wusste, warum sie lachte, brachte sie es auf den Punkt: »Black and Schwarz, you know?«
»Ja, klar, sehr witzig«, sagte er und klang dabei überhaupt nicht amüsiert.
Dann tippte Megan auf die Pflaster, die er über seine Knöchel geklebt hatte. »You are a fighter?«
»No, I’m a journalist.«
Hinter Leon flüsterte der Drummer der Schulband, der später einmal Bundeskanzler werden wollte, im Moment aber Probleme mit seinem Notendurchschnitt hatte: »Ich bagger die ganze Zeit an der rum und komm keinen Schritt weiter. Und dem hüpft sie praktisch in die Arme. Was hat der, das ich nicht habe?«
Hinter Leons Rücken wurde spitz die Antwort formuliert: »Die will bloß in die Zeitung.«
12
Johanna wechselte zwischen den Radiosendern hin und her. Sie erwartete irgendeine schreckliche Nachricht. Etwas musste gestern in Bremerhaven passiert sein. Er hatte es ihr doch so deutlich am Telefon gesagt.
Weil das Radio nichts hergab, suchte sie in der Onlineausgabe der Nordseezeitung nach ungewöhnlichen Vorkommnissen.
Am Bahnhof war eine Imbissstube ausgebrannt.
Am Fischereihafen hatte es eine Schlägerei zwischen zwei Autofahrern gegeben, die sich um einen Parkplatz stritten. Angeblich hatte der eine beim Öffnen der Tür den Wagen des anderen verkratzt. Es waren mehr Leute dazugekommen, und schließlich musste die Polizei zwölf Personen festnehmen, mehr, als in die beiden Kleinwagen überhaupt hineinpassten.
Angeblich vergiftete jemand in der Innenstadt Hunde mit Fleischwurststückchen, die mit Rattengift präpariert worden waren.
In der Tarnowitzer Straße war ein Dachstuhl ausgebrannt.
Nein, das alles sah gar nicht nach dem Verehrer aus. Er hatte etwas Größeres gemacht, etwas, das aus seiner Sicht noch schlimmer war als der Unfall unter der Havenbrücke.
Was war geschehen?
Komischerweise beruhigte es sie nicht, dass sie keine schlimmen Vorfälle fand, sondern es machte sie völlig fertig, weil in ihrer Phantasie furchtbare Verbrechen geschahen, und die waren noch nicht entdeckt worden.
Vielleicht hatte er eine ganze Familie ausgerottet. Die Menschen lagen nun tot in der Wohnung, und das alles hatte nur noch niemand bemerkt …
Dann stand plötzlich ihre Mutter im Zimmer. Sie roch nach einem
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