Neongrüne Angst (German Edition)
…«
»Müde? Unkonzentriert?«, schlug der Chefredakteur vor.
»Ja, ich habe heute Nacht lange gelesen. Einen Kriminalroman. Wenn ich ein spannendes Buch habe, dann …«
»Ja«, lachte Freitag, »das kenne ich.«
Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. »Also, ich gebe Ihnen eine halbe Seite für Porträt und Interview. Okay?«
Leon nickte und versuchte, hocherfreut auszusehen. Jetzt musste er nur noch herausbekommen, wen er interviewen sollte.
»Sind Ihnen irgendwelche Aspekte besonders wichtig? Soll ich auf irgendetwas achten?«, fragte er.
Ralf Freitag wippte auf seinem Stuhl hin und her und musterte Leon.
»Nun, er hat eine Reihe klassischer Kriminalromane herausgegeben. Romane aus den fünfziger und den zwanziger Jahren. Rex Stout, Ellery Queen, Anthony Berkeley … Und da interessiert mich natürlich, wie er die junge deutsche Krimiszene sieht. Gibt es ein junges Talent, das wir bisher alle übersehen haben? Der Regionalkrimi boomt. Es wird viel Schrott geschrieben, aber darunter sind eben auch einige Perlen. Er gehört ja sozusagen zu den Perlentauchern.«
Namen ratterten durch Leons Gehirngänge. Tobias Gohlis. Thomas Wörtche. Krimipapst … Wer hatte eine Reihe herausgegeben? Martin Compart?
»Und natürlich müssen Sie auf seine Internetplattform eingehen, damit hat er ja wirklich viel bewegt in Deutschland.«
Krimi-Couch, dachte Leon. Ganz klar. Er redet über Lars Schafft.
Leon atmete auf und war sicher, seinen Chefredakteur nun nicht zu enttäuschen.
»Ich kenne die Krimi-Couch. Meine Mutter hat sich dort informiert und sich die neuesten Krimitipps geholt. Sie hat sogar privat viele Rezensionen dort untergebracht. Wenn ihr ein Buch nicht gefiel, konnte sie gnadenlos sein. Aber auch überschwänglich in ihrem Lob.«
»Genau wie Sie«, grinste Ralf Freitag.
»Es ist mir eine Ehre, ihn zu interviewen. Ich habe sogar die ganze von ihm herausgegebene Krimireihe zu Hause im Regal. Zwei habe ich gelesen. Nero Wolfe in Montenegro und S. S. van Dine Mordakte Kasino . Dine hat mit Philo Vance so etwas wie den amerikanischen Sherlock Holmes geschaffen.«
»Ich sehe, Sie sind der richtige Mann für diese Aufgabe, Herr Schwarz.«
Leon dachte daran, dass er eine kleine Lüge benutzt hatte. Immerhin standen die Bücher keineswegs bei ihm im Regal, sondern in Kisten verpackt in Ganderkesee, in der Wohnung von Trudi Warkentin.
Der Wunsch, dort auszuziehen und sich gemeinsam mit Johanna eine Wohnung zu nehmen, wurde übermächtig. Am liebsten hätte er die Zeitung vom Schreibtisch des Chefredakteurs genommen und im Anzeigenteil nach Wohnungen geblättert. Die jetzige Situation war absolut unhaltbar.
46
Zerknirscht saß der Losverkäufer auf dem Stuhl und versuchte, seine Tränen zu verbergen. Büscher brüllte rum, und bei jedem lauten Wort zuckte der Beschuldigte zusammen, als sei er von einem Peitschenhieb getroffen worden.
Birte Schiller gefiel das nicht, aber sie ließ Büscher gewähren.
»Kann ich bitte eine Zigarette haben?«, fragte er.
»Sie heißen Lothar Senfbauer und wurden in Leer, Ostfriesland, geboren. Sie haben die meiste Zeit Ihres Lebens in Heimen verbracht, und wenn Sie nicht den Mund aufmachen, werden Sie den Rest in Gefängnissen verbringen. Ist Ihnen das eigentlich klar?«
Büscher biss in ein Vanillehörnchen und schmatzte. Er schlürfte heißen Kaffee dazu. So wollte er demonstrieren, wer hier der Herr im Haus war.
»Warum«, fragte Senfbauer mit brüchiger Stimme, »sind Sie so gemein zu mir?«
Büscher baute sich groß vor ihm auf, brachte seinen Mund nah an Senfbauers Ohr, als wollte er hineinbeißen, dann brüllte er erneut los: »Ich bin immer ekelhaft zu Leuten, die mir einen Eimer über den Kopf stülpen und mich dann als Gong benutzen, kapiert? Und ich habe auch nichts dagegen, wenn sich das herumspricht! Sei froh, dass ich nicht dasselbe mit dir mache!«
Es passte Birte Schiller auch nicht, dass Büscher Lothar Senfbauer die ganze Zeit duzte. Sie fand, dass jeder ein Recht darauf hatte, gesiezt zu werden. Aber in dieser Frage würde sie wohl nie mit Büscher übereinstimmen.
»Brauchen Sie vielleicht ein Glas Wasser, oder soll ich Ihnen einen Kaffee holen?«, fragte sie.
Noch bevor Senfbauer antworten konnte, spottete Büscher: »Na klar, vielleicht auch noch ein Rosinenbrötchen oder ein Stück Pizza!«
»Ja, ich hätte nichts dagegen«, sagte Senfbauer kleinlaut und meinte damit zweifellos das Glas Wasser, das Schiller ihm angeboten hatte, doch Büscher
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