Neonregen (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Versuch einfach dran zu denken, daß ich es bin, und nimm bitte nicht alles wörtlich, was ich heut sage. Woher wußtest du überhaupt, daß ich im Gefängnis bin?«
»Dein Partner, Clete oder wie er heißt, hat mich angerufen. Er hat mir aufgetragen, dir etwas auszurichten, und zwar genau so, wie er es mir gesagt hat: ›Du bist immer noch dein eigener Herr, Streak. Das ist ein großer Sieg. Befrei dich von dieser Hundescheiße, solange noch Zeit ist.‹ Was hat das zu bedeuten?«
»Es bedeutet, daß ein Teil von ihm noch intakt ist. Ich bin mir nicht sicher, ob das auch auf mich zutrifft. Ich habe das Gefühl, daß mir heut irgendwie alle Nähte geplatzt sind.«
Sie fuhr los und fädelte sich in den fließenden Verkehr ein. Der gelbliche Dunst, die Hitze, die von dem Beton aufstieg, die heißen Lederpolster an meinem Rücken, der beißende Benzindunst um mich herum lösten in meinem Kopf das Gefühl aus, als würde ich an einem heißen Sommertag die Dämpfe eines kochenden Teerofens einatmen.
»Ich kenne mich nicht so aus mit Alkohol und Alkoholikern, Dave. Möchtest du vielleicht irgendwo ein Bier trinken gehen? Ich hätte nichts dagegen. Ist es nicht manchmal besser, wenn man sich langsam entwöhnt?«
Sie hatte es mir leichtgemacht, und ich glaube, daß ich mir in diesem Augenblick sämtliche Finger einzeln mit der Blechschere abgeschnitten hätte, um ein kühles Jax-Bier zu bekommen.
»Im Moment wär ich dir einfach dankbar, wenn du mich zu meinem Hausboot bringst. Du mußtest dem Kautionsbüro bestimmt tausend Dollar rüberschieben oder?« fragte ich.
»Ja.«
»Ich geb dir das Geld morgen zurück. Ich hab zwar keinen Kredit mehr, aber ich kann eine Hypothek auf das Boot aufnehmen.«
»Daran denke ich gar nicht. Du hast gestern abend versucht, dich zu entschuldigen, und ich hab dich abblitzen lassen.«
»Schließlich hattest du jemand zum Dinner eingeladen.«
»Das war nur ein Freund von der Musikschule. Er hätte es bestimmt verstanden.«
»Laß dir was erklären. Wenn ich gestern im Gefängnis gelandet bin, dann hatte das überhaupt nichts mit dir zu tun. Ich bin vier Jahre lang trocken gewesen, und gestern abend hab ich alles versiebt.«
»Aber du kannst wieder aufhören.«
Ich antwortete nicht. Wir waren auf der Elysian Fields Avenue und fuhren in Richtung See. Mein Seersucker-Anzug war nach dem Gefängnisaufenthalt völlig zerknittert und mit Tabaksaft beschmutzt, und meine Gesichtshaut fühlte sich unter meinen Fingern dreckig und unrasiert an.
»Kannst du bitte mal da drüben vor dem Lokal anhalten«, sagte ich.
Sie parkte vor einem Café mit einem Tresen unter offenem Himmel und einer Reihe von Tischen im Schatten der Bäume, an denen Leute saßen und Poor-Boy-Sandwiches und saftige Scheiben Wassermelone aßen. Ich bestellte zwei Dr. Peppers im Pappbecher mit viel zerstoßenem Eis und bat den Kellner um eine Handvoll kandierte Kirschen und Limettenscheiben. Dann setzte ich mich wieder in den Wagen und trank, wobei ich den Becher mit beiden Händen festhielt. Es tat auf angenehme Weise beinahe weh, als die Kälte des Eises, die zerdrückten Kirschen und das sirupartige Getränk meine Kehle hinunter in den Magen liefen.
»Als ich klein war, drüben in New Iberia, da gab’s ein Getränk, das hieß Dr. Nut. Das schmeckte fast genauso wie das hier«, erzählte ich. »Mein Vater spendierte meinem Bruder und mir immer eine Flasche Dr. Nut, wenn er mit uns in die Stadt fuhr. Das war für uns damals ’ne tolle Sache.«
»Was empfindest du, wenn du an die Vergangenheit zurückdenkst, Dave?« fragte sie mich. Während sie fuhr, flatterte ihr lockiges Haar im Fahrtwind.
»Was meinst du damit?«
»Was für ein Gefühl hast du, wenn du an deinen Vater denkst?«
»Ich empfinde immer so was wie eine große Zärtlichkeit.«
»Richtig, das tust du, auch wenn deine Familie arm und dein Vater nicht immer da war, wenn du ihn brauchtest. Du empfindest als erwachsener Mensch keinen Groll mehr gegen ihn. Duhast ihm vergeben, und du erinnerst dich vor allem an seine besten Seiten. Warum tust du das nicht auch mit dir?«
»Bei manchen Menschen ist das eben nicht so einfach.«
»Heute ist Sonnabend, und es ist den ganzen Tag lang Sonnabend, und es kümmert mich nicht im geringsten, was gestern geschehen ist, zumindest nicht das, was unangenehm war. Ich genieße es, mit dir zusammenzusein und mich an schöne Dinge zu erinnern und zu wissen, daß alles sich zum Guten wenden wird. Ist das nicht das gleiche,
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