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Neonträume: Roman (German Edition)

Neonträume: Roman (German Edition)

Titel: Neonträume: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Minajew
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der Stelle herum. Es fällt mir nicht im Traum ein, mich auf die Arbeit an unserem Album zu konzentrieren und anschließend damit Klinkenputzen zu gehen. Diese Logik liegt mir fern. Noch immer gehe ich davon aus, dass bei uns im Land alles über eine gute » Connection« (sprich: einen Arsch) läuft. Um, zum Beispiel, eine bekannte Fernsehmoderatorin zu werden, muss man zunächst einen Enthüllungsroman schreiben und sich damit den Status einer Schriftstellerin erwerben; um Schriftstellerin zu werden, muss man wiederum zunächst einen Millionär heiraten, damit man anschließend etwas enthüllen kann; und um einen Millionär heiraten zu können, muss man erstmal vier Jahre lang als Prostituierte arbeiten. Und die Moral von der Geschicht: Jede Nutte kann zur Moderatorin der beliebten Talkshow Meine Familie und ich werden. Die einzige Voraussetzung– ein stabiler Arsch!
    Ich strampele mich ab, die Besitzer der angesagten Klubs kennenzulernen, damit ich ohne Gesichtskontrolle in ihre Läden reingelassen werde. Was soll der Quatsch, sagen Sie? Das Geld, das man in diesen Schuppen lässt, bleibt dasselbe, ob man die Besitzer kennt oder nicht? Das sei ungefähr so, als wenn man sich an die Kassiererin in einem Supermarkt ranmacht, damit man nicht anstehen muss, um zu berappen. Ja, Sie haben Recht– und doch Unrecht. Sie vergessen dabei das Wichtigste, das, worauf es ankommt: das richtige Image. Stellen Sie sich vor, Sie stehen mit zwei Bräuten vor einem Klub, zum Beispiel der » Brücke«. Vor der Tür wogt die Menge und versucht vergeblich, den Türsteher zu bezirzen, Ihre Mädels kapieren, dass es eigentlich vollkommen aussichtslos ist, und schauen Sie trotzdem mit großen, hoffnungsvollen Augen an. Und Sie holen nur Ihr Handy raus, drücken lässig ein paar Tasten und sagen: » Hi, Jora, ich stehe hier mit Lena und Tanja, man lässt uns nicht rein!« Das ist das richtige Image. Wegen dieser kurzen Momente, in denen Sie über die Masse triumphieren, wegen der dankbaren, hingebungsvollen Blicke der Bräute, wegen des neidvoll geflüsterten » So ein Arschloch«– deshalb, und nur deshalb, nehmen Sie diesen ganzen Party-Dauerstress auf sich, deshalb schlagen Sie sich die Nächte um die Ohren!
    Übrigens, Frauen sind ein wesentlicher Bestandteil des richtigen Image. Wie Autos, Klamotten, Kreditkarten oder Telefon. Eine schöne Frau ersetzt alle diese Vorrichtungen. Und sie funktioniert auch ganz ähnlich wie ein gut ausgestattetes Mittelklasseauto. Beim Auto leuchtet, zum Beispiel, ein Lämpchen am Armaturenbrett auf, und man füllt Benzin in den Tank. Bei der Frau ertönt ein akustisches Signal, meinetwegen » Ich liebe ich«, und man holt seine Kreditkarte raus. » Ich liebe dich«, das ist eine von ungezählten bedeutungslosen Wort- und Satzhülsen, ein Füllsel, mit dem man die Pausen in einem Gespräch überbrückt.
    Über echte Gefühle zu reden ist mir unangenehm. Nehmen wir, zum Beispiel, diese Studentin. Ich wollte sie wirklich und ehrlich lieben, mit allem, was so dazugehört: Eifersucht, langem Warten in zugigen Torwegen, überlaufender Mailbox, Chat und endlosen Telefongesprächen. Aber ich habe Angst davor, verstehen Sie, was ich meine? Ich habe wahnsinnige Angst, dass im Laufe der Zeit alles gnadenlos banalisiert wird, dass alles verspießert, vermufft. Dass nichts bleibt als öde, verlogene Wohlstandsbequemlichkeit.
    Das Fehlen echter Liebe kompensiere ich mit dem » richtigen Image«. Klamotten, Restaurants, Reisen und vor allem: vielen, vielen Affären. Wenn man mein Image in Geld umrechnen würde, könnte Abramowitsch bei mir als Chauffeur anfangen. Aber das ist Zukunftsmusik, bis dahin lebe ich » selbstbestimmt«, » suche meinen Weg«, » erkunde unterschiedliche Lebensformen«, versuche, » facettenreich« zu sein. Oder um es beim Namen zu nennen: Ich betreibe Selbstbetrug.
    In Wahrheit habe ich Angst, mir einzugestehen, dass ich, außer dem oben Dargelegten, absolut nichts kann! Ich verschwende mein Leben. Ich bin siebenundzwanzig Jahre alt, ich habe weder Frau noch Kinder noch eine anständige Arbeit noch anständige Freunde. Ich bin ein Stümper, ein Populist, ein dummes Arschloch, Aids-infizierter Abschaum, und als Zugabe habe ich meine Freundin und mein Kind infiziert. Ich habe eine Affäre nach der anderen, verplempere meine Zeit mit Unsinn, konsumiere Alkohol und Drogen, um nicht daran denken zu müssen, dass ich eine Null bin. Stattdessen rede ich mir ein, dass alle so leben. Man arbeitet,

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