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Neonträume: Roman (German Edition)

Neonträume: Roman (German Edition)

Titel: Neonträume: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Minajew
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Seit wann spielt man Fußball zu zweit?«
    » Vielleicht meint er Tischfußball?«, sinniere ich.
    » Nee, eher Doppelsturmspitze«, grinst Anton.
    Währenddessen ist die Assistentin des Moderators ans andere Ende des Saales getrippelt und überreicht das Mikro einem pummeligen, kahlköpfigen Herrn mit Vollbart und Goldrandbrille. Der erhebt sich behäbig, wischt sich mit seiner Serviette die Lippen, räuspert sich ausgiebig und hebt an:
    » Wenn man ein gewisses Alter erreicht hat, beginnt man zu verstehen, dass das Wertvollste auf der Welt eine wahre Freundschaft unter Männern ist.«
    » Dobrusin ist dreieinhalb Milliarden schwer«, flüstert jemand von hinten.
    » Gott steh uns bei!«, stöhnt Anton und verbirgt das Gesicht in den Händen.
    » Du bist hier, weil du gut bezahlt wirst, vergiss das nicht, du Moralist!«, flüstere ich ihm zu.
    » Also, ich will damit sagen, dass mein verehrter Freund Wladimir Jakowlewitsch für mich immer der Maßstab für echte Freundschaft gewesen ist…«
    » Haben die eigentlich alle denselben Redenschreiber?«, erkundigt sich Wanja.
    Ganz allmählich werde ich wach. Irgendwann bin ich am Vormittag noch einmal eingeschlafen, und zu meiner Überraschung habe ich nichts geträumt und auch nicht geschwitzt wie in der Nacht. Geweckt hat mich Anton, der mich abholen wollte und anfing, an die Tür zu treten, weil ich die Klingel nicht hörte. Er kam rein, verabreichte mir Kaffee und eine Zigarette, schob mir noch eine Beruhigungspille in den Hals und schleppte mich dann hierher ins Parisienne. Und jetzt sitzen wir hier zu dritt und warten auf unseren Auftritt. Ab und zu betaste ich verstohlen meine Lymphknoten. Sie sind immer noch ein wenig geschwollen. Dafür hat das Rumoren im Magen aufgehört, und auch die Gliederschmerzen sind so gut wie verschwunden.
    Ich lasse mich sogar dazu hinreißen, einen Scherz anzubringen.
    » Hört mal, Leute, wollt ihr ein Rätsel hören? Was ist das: Es besteht aus zwei Worten, und eins ist teurer als das andere?«
    » Keine Ahnung.« Wanja macht ein Schafsgesicht. » Was soll das sein?«
    » Coca-Cola«, wiehere ich.
    » Hä?« Wanja kapiert immer noch nicht.
    » Ist doch ganz einfach: Koks ist teurer als Cola!«
    Der Groschen fällt– Wanja gackert wie ein Huhn mit Schluckauf.
    » Den Witz hat er bei Sascha Sorkin geklaut«, brummelt Anton sauertöpfisch. » Man geht nicht mit geklauten Witzen hausieren.«
    » Mein Gott, das ist doch egal«, winke ich ab.
    Dobrusin schwadroniert unterdessen munter weiter, würzt seine Rede mit beliebten Phrasen wie » gemeinsam standen wir es durch«, » in all den Jahren haben wir immer zusammengehalten«, » es ist ein großes Privileg, einen solchen Freund zu besitzen« und so weiter und so fort. Wir stehen da, putzen Sushi-Rollen weg und warten ab, was weiter passiert.
    » Und eine eiserne Gesundheit«, sagt Anton mit vollem Mund.
    » Was?«, schmatze ich.
    » Und ich wünsche dir vor allem eine eiserne Gesundheit!«, beendet Dobrusin in diesem Moment seine Glückwunschrede.
    » Aha!«, nickt Wanja. » Verstehe.«
    » Und nun übergebe ich das Wort an Margarita Nikolajewna Wolkowa, Hauptbuchhalterin der Firma Trans-Beton!«, quiekt der Moderator hingerissen.
    Frau Wolkowa steht auf. Sie ist um die fünfzig und sieht aus wie das Produkt eines verwirrten Kunsthandwerkers. Eine klassische Matrjoschka, die man in einen knallroten Blaser und einen schnurgerade geschnittenen Rock gepresst hat, verziert mit schwerem Goldschmuck, Hochfrisur und Brille.
    » Ich möchte ein Gedicht vortragen«, spricht sie, hüstelt und wird ein bisschen rot.
    » Unsere Margarita Nikolajewna! So ein kreativer Mensch! Ein echtes Original!«, ruft man im Saal. Vereinzelt hört man Applaus. Die Wolkowa wartet einen Moment und fängt an:
    » Durch der Arbeit Ozean
    lenkt er unser großes Schiff,
    ob bei Wirbelsturm, Orkan,
    schützt er uns vor spitzem Riff.«
    » Ob sie diesen Blödsinn selber verzapft hat?«, frage ich, ohne mich an jemanden Bestimmten zu wenden.
    » Nein, das ist von Schiller. Sie hat es bloß selber übersetzt«, knurrt Anton.
    » Wann hört das endlich auf?«, fragt Wanja erschöpft und schaut zum soundsovielten Mal auf die Uhr.
    » Sei immer glücklich, leb noch lang, das wünscht dir unsre Buchhaltung!«, deklamiert Wolkowa, und damit ist ihre Nummer durch.
    » Das war der poetische Geburtstagsgruß unserer geschätzten Kollegin und Dichterin Margarita Nikolajewna! Applaus!«, plärrt der Moderator.
    » Und jetzt unsere

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