Neonträume: Roman (German Edition)
Technologien und das alles.« In der Regel kürzte Papa nach solchen Gesprächen mein Salär erst einmal glatt um die Hälfte. Aber egal, ich pflege meinen Problemen nicht auszuweichen. Eine Leuchte des Fortschritts zu sein– das ist nicht gerade die leichteste Bürde, vor allem, wenn man sie in Händen trägt, die noch ziemlich zittrig sind vom letzten Wochenende. Aber im Großen und Ganzen behielt ich meine Richtung bei, ich blieb in der Spur, könnte man sagen. Ich war nach Moskau gekommen, um Leute kennen zu lernen. Und am Ende war ich mit Beziehungen gespickt wie ein Stachelschwein mit Borsten, wenn Sie mir das etwas schräge Bild durchgehen lassen. Übrigens– das Stachelschwein ist mit Sicherheit das am besten ausgestattete Lebewesen in diesem Zoo namens Moskau.
Als ich die Uni dann hinter mir hatte, wurde mir schnell klar, dass meine Ausbildung zwar abgeschlossen, mein weiterer Lebensweg aber noch immer vollkommen offen war. Eine Karriere als politischer Journalist hatte ich nicht zu erwarten, weil ich von Politik schlichtweg null Ahnung hatte. Im Bereich Wirtschaft sah es sogar noch finsterer aus. Wie soll man die Wirtschaft seines Landes analysieren, wenn im eigenen Portemonnaie eine permanente Finanzkrise herrscht? Kurz und gut, ich entschloss mich für den Weg des geringsten Widerstandes, mit anderen Worten: Ich fing an zu schreiben, über das Thema, das mich am meisten interessierte. Die Szene.
Und der Aufenthaltsort meines Pullovers ist bislang auch noch nicht geklärt. Wissen Sie, was der größte Horror ist, der einem am frühen Morgen begegnen kann? Die allerschlimmste vorstellbare Katastrophe? Der Super- GAU ? Das ist, wenn man im Bett schon gedanklich die Garderobe für den bevorstehenden Tag zusammengestellt hat, aber wenn’s dann ans Anziehen geht, sind einer oder mehrere Bestandteile des sorgsam komponierten Outfits unauffindbar. Denken Sie immer daran: Alles hängt davon ab, wie man sich positioniert! Die Wahl der Garderobe, und vor allem jede unvorhergesehene Änderung dieser Wahl, kann schwerwiegende Konsequenzen für die Gestaltung Ihres Tages nach sich ziehen! Ich nehme von weiteren telefonischen Nachforschungen im Bekanntenkreis Abstand und beschließe, den weißen Baumwollpullover anzuziehen, den mit dem großen Zopfmuster, dazu blaue Jeans. In dieser Aufmachung sehe ich aus wie ein junger Intellektueller. Eine Brille käme dazu ganz gut. Mit Fensterglas.
Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, bei der Szene. In Anbetracht der Tatsache, dass es die Glamour-Medienmonster in Gestalt von Vogue, GQ oder Harper’s Basar nicht eilig hatten, mir eine monatliche Kolumne anzubieten, und der amerikanische Robb Report mich unbegreiflicherweise nicht zum Chefredakteur seiner russischen Ausgabe machen wollte (und das bei meinem exquisiten Geschmack und angeborenen Hang zum Luxus), führte der besagte Weg des geringsten Widerstandes mich unweigerlich zur Internet-Zeitung Der Weg. Dort war ich zuerst als Freelancer, später bekam ich eine monatliche Kolumne.
Die Szene wurde zu meinem Arbeitsplatz. Doch, doch! Beneidenswert all die Leute, die nur zu ihrem Vergnügen nächtelang in allen möglichen Klubs und bei diversesten Special Events rumhängen können, aber für mich ist das pure Arbeit, um nicht zu sagen Schwerstarbeit. Aber was bleibt mir übrig? Manchmal wünscht man sich schon, ein einfacher Top-Manager zu sein, mit geregelten Arbeitszeiten von neun bis neunzehn Uhr, Sekretärin und Kaffee inklusive. Zwischendurch zieht man sich zum Zeitvertreib im Internet die Lifestyle-Kolumne von Andrej Mirkin rein, der schlaf- und ruhelos durch die Kneipen zieht und seine Gesundheit ruiniert, um jede Woche seine Leser über das pulsierende Nachtleben der großen Stadt Moskau auf dem Laufenden zu halten. Aber ich habe diesen Weg selbst gewählt. Es ist anstrengend, aber interessant. Außerdem, was soll’s? Ich liebe meinen Job, für mich ist es schöpferische Arbeit. Sie werden es noch sehen, aus meinen Kolumnen lernen Ihre Kinder alles, was sie über die Geschichte Russlands vom Anfang des 21. Jahrhunderts wissen müssen. Man könnte mich ohne Weiteres mit einem mittelalterlichen Chronisten vergleichen. Ach was, ein Dichter bin ich, der Dichter der nächtlichen Stadt!
Zuerst erschien meine Kolumne monatlich, dann alle vierzehn Tage, schließlich wöchentlich. Ich hatte treue Leser, Internet-Verehrerinnen, und natürlich auch jede Menge Neider und Feinde. Es dauerte nicht lange und ich spürte, ich
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