Neonträume: Roman (German Edition)
eigentlich dazu, mir hier Vorträge zu halten? Ich kann meine Kohle ausgeben, wie und wo ich will! Überleg dir lieber, wie das mit den Fotos laufen soll!«
» Deine Kohle, Andrjuscha?«
» Jawohl, meine Kohle! Und nenn mich nicht Andrjuscha, du Leguan in Kunstlederpelle!«
» Nicht deine– meine Kohle!«
» Äh ja, entschuldige, klar, deine Kohle. Meine ich doch.«
» Sieh zu, dass du sie auftreibst und ruf mich dann an, du minderjähriger Hysteriker.«
Und damit legt sie auf. Können Sie sich das vorstellen? Dieses verdammte, stinkende Stück Hundescheiße! Und eine erbärmliche Fotografin ist sie außerdem noch. Legt die einfach auf! Und das, wo ich am Rande des Abgrundes stehe, mit der Nase einen Zentimeter vor der Deadline, die ganz schnell die Deadline meines Jobs werden kann! Hinterhältiger kann man ja wohl nicht sein. Ja, da ist anscheinend nichts zu machen, ich muss das Geld auftreiben und dann ans andere Ende von Moskau hetzen. Idiotie! Der ganze schöne Tag im Arsch wegen einer geldgierigen Psychopathin, die sich für Herb Ritz hält! Und alles wegen ein paar lausigen hundert Dollar! Aber so ist das eben, nichts und niemand in dieser Welt ist vollkommen… Irgendwie kompliziert alles.
Ich checke meine E-Mails. Am Montag hätte ich eigentlich eine Nachricht von Pascha Alfjorow von Polygram Records erwartet. Dem habe ich schon am Mittwoch die Demo- CD von unserer Band geschickt, ich hoffe fest darauf, dass da ein Plattenvertrag drin ist. Glatte sechzig Eingänge. Viagra, Cialis, Luxus-Uhren zu Discountpreisen, Penisvergrößerungen, exklusive Büros in Odessa zu vermieten. Dann Penisvergrößerungen, Luxus-Uhren, Cialis und Viagra. Nochmal Penisvergrößerungen. Wenn man von meinem Posteingang ausgeht, dürfte ich eigentlich nichts anderes machen als bumsen, teure Uhren kaufen und zwischendurch meinen Schwanz verlängern lassen. Nicht ein vernünftiger Brief. Von Alfjorow ist auch nichts gekommen. Ich kann diese Einstellung echt nicht verstehen. Da hält man ihm die ultimative Scheibe, eine echte Bombe unter die Nase und er merkt es nicht. Jeder Produzent, der diese Bezeichnung verdient, hätte sofort zum Telefon gegriffen, aber jeder! Bloß nicht diese hirn- und saftlosen Schlaffis hier bei uns. Vielleicht liegen sie in Schockstarre in ihren Kunstledersesseln und kriegen den Zeigefinger nicht an die Maustaste. Oder ist er verreist? Ich sehe heute Abend nochmal nach, und morgen rufe ich an. Aber jetzt muss ich erst mal mit Marina klarkommen.
Mos k au
Erschöpft und ausgelaugt von meiner einstündigen Shoppingtour, die mir nichts eingebracht hat außer blödsinnigen Nervereien mit ebenso zänkischen wie inkompetenten Verkäuferinnen, sitze ich jetzt im Bosco Café, gelegen im ersten Stock des GUM , trinke lauwarmen Latte Macchiato, betrachte die anderen Gäste des Kaufhauses und atme die Gerüche ein, die mich umwabern. Aus den Ladenzeilen dringt der Geruch nach neuer Kleidung, nach Ausverkauf und Wohlstand, vom Kreml weht ein Hauch von Leder herüber, den die Luxuslimousinen, teuren Aktentaschen und Armeeuniformen absondern, im Café selber duftet es nach dezenten Zitrusnoten teurer Parfüms, angereichert mit allerlei aphrodisierenden Fermenten und Alkohol. Und das alles wird dominiert vom Hauptgeruch. Er ist überall: am Bartresen, in den Falten der Tischdecken, in den Haaren der Frauen, in den teuren Hemden der Männer, im Papier der Speisekarten. Die Kellner riechen danach, die kaufwilligen Menschen in den Passagen und die müßig flanierenden Gäste der Hauptstadt. Es ist der Duft frischgedruckter Dollarnoten. In dieser Stadt riecht es überall nach Geld! Moskau!
Um diese Tageszeit sieht man hier vornehmlich ausländische Manager in dezenten dunkelblauen Anzügen und hellblauen Hemden oder erschöpfte Bräute, die sich vom Power-Shopping erholen. Die Manager tragen größtenteils keine Krawatten, dafür Brillen mit filigranem Metallgestell über dezenter Sonnenbräune. Die Sakkos hängen leger über den Stuhllehnen, ihre Münder formen Wendungen wie » sehr gute Perspektiven«, » die Stadt hat sich unglaublich verändert«, » Wirtschaftswachstum« und » ausgezeichnete Performance«. Die Bräute sind fast ausnahmslos leicht getunt, sie tragen Sandaletten mit hohen, spitzen Absätzen und mal mehr, mal weniger durchsichtige Blusen. (Man will schließlich zeigen, wofür man mindestens fünftausend Grüne hingeblättert hat.) Von ihren zarten, überdeutlich gewölbten Lippen lösen sich Formeln
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