Neonträume: Roman (German Edition)
schauen mich mit neu aufkeimender Hoffnung an.
» Gutaussehende Bräute, Wowa, sehr gut aussehend sogar. Vor allem die eine hat ein Auge auf dich geworfen. Die zweite, glaube ich, ist auch nicht abgeneigt. Also los, ich stelle dich den beiden vor.«
» Ich weiß nicht«, quengelt Wowa und sackt in seinem Stuhl zusammen wie ein halbleerer Kartoffelsack. » Ich bin eigentlich nicht in Form… Verarschst du mich auch nicht, meinst du das ernst?«
» Komm schon, Wowa, jetzt zier dich nicht! Du bist doch ein lebendiger Mensch, und kein Bürostuhl. Los, ab!«, kommandiere ich.
» Das sind echt zwei scharfe Miezen, Wowa!«, leistet mir Wanja Schützenhilfe von links. » Ich hab sie von hier aus gut im Blick.«
» Die eine ist Buchhalterin bei Nestlé, die kenne ich!«, sekundiert Anton von rechts.
» Wowa, das ist deine Chance! Das Schicksal will dich für das schäbige Verhalten deiner Ex entschädigen. Diese Chance darfst du dir nicht entgehen lassen, Wowa! Das wäre eine Sünde! Tu es zum Wohle deines Landes!«
» Wieso denn zum Wohle meines Landes?« Endlich schafft er es, sich umzudrehen. » Was hat mein Land damit zu tun?«
» Das sagt man so.« Ehe er sich anders besinnen kann, greife ich ihn unter den Achseln und stelle ihn auf die Beine. Er steigt in sein Jackett und schlurft mit unsicheren Schritten hinter mir her.
Bei den Mädchen angelangt, stelle ich vor:
» Dies ist mein furchtbar trauriger, furchtbar charmanter Freund, meine verehrten Damen. Darf ich vorstellen: Wowa. Er leidet ebenfalls an akuter Melancholie.«
Die Mädchen lachen.
» Und warum sind Sie so melancholisch, Wowa?«, fragt Mascha.
» Ist doch egal! Trinken wir etwas gegen die Melancholie!«, ergreift Nastja die Initiative.
» Und dann ab in die Karaoke-Bar!«, röhrt dieser besoffene Ochse los. Ich sehe meinen wunderbaren Plan schon den Bach runtergehen, da rettet Mascha unverhofft die Lage.
» Ja, warum nicht? Ich für meinen Teil singe schrecklich gern!« Klar. Wahrscheinlich wäre sie sogar bereit, mit unserem Oligarchen-Söhnchen in einen Spielsalon zu gehen.
» Wohin gehen wir? Ins Krik? Oder ins Tschippolino?«
» Bravo!«, rufe ich und klatsche Beifall. » Also, Freunde, dann mach ich mich mal auf den Weg. Ich will euch nicht weiter stören…«
» Komm doch mit!«, orgelt Wowa aufgekratzt.
» Nein, nein, nein. Geht leider echt nicht, sorry!«
» Dann mach’s gut, Alter!« Wowa steht auf, umarmt mich und küsst mich auf beide Wangen. » Wir sehen uns morgen! Die Rechnung kannst du mir bringen lassen!«
» Kein Problem, Alter!« Ich befreie mich aus seiner Umarmung, werfe den Mädchen hinter seinem Rücken ein paar Kusshände zu und begebe mich an unseren Tisch.
» Wie hast du das denn jetzt hingekriegt?«, staunt Anton.
» Es kommt eben immer drauf an, wie man sich positioniert!«, doziere ich und trinke meinen Whisky aus. » Los, ruft die Kellnerin, sie soll die Rechnung für unser Kaffeekränzchen diesem Kretin präsentieren.«
Wanja applaudiert mir lautlos, aber mit Emphase, und Anton reckt mir zwei gespreizte Finger entgegen. Im Hintergrund läuft » Smalltown Boy«:
Run away.
Run away.
Run away.
Run away.
Ich stelle mein leeres Glas auf den Tisch.
» Los, weg hier, bevor sie es sich anders überlegen.«
De r Organizer
Ich habe mir ein neues Moleskine gekauft. Nicht weil mein altes voll wäre, sondern weil es mir zum Hals heraushängt. Lauter Namen und Telefonnummern, mit denen ich nichts anfangen kann, ein Wirrwarr von Notizen und Ziffern… Außerdem ist das Ding inzwischen ziemlich abgegriffen. Ursprünglich habe ich es gekauft, um Notizen für mein geplantes Buch über das Moskauer Nachtleben reinzuschreiben. Das neue ist für meine Songtexte bestimmt.
Ich schlage die erste Seite auf. In die Zeile » In case of loss, please, return to« schreibe ich » Manuskripte brennen! Andrej Mirkins Notizbuch«. Es folgen Telefonnummer, Anschrift, E-Mail-Adresse und die Adresse meines Internet-Blogs im Live-Journal: www.mirkin.livejournal.com. Dann betrachte ich mein Werk. Alles da, würde ich sagen. In die Zeile » as a reward $_____« wollte ich eigentlich » 1000« eintragen, aber dann lasse ich eine Null weg. Genau genommen sind mir auch die hundert Mäuse schon zu schade. Außerdem verliere ich sowieso nie etwas. Bloß diesen Pullover… Verdammt, echt!
Reden wir nicht davon.
Am anderen Morgen sitze ich zuhause im Sessel, die Beine im Schneidersitz, trinke Nescafé und notiere meinen Tagesplan ins
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