Neonträume: Roman (German Edition)

gewöhnliche Lebensmittel dermaßen gründlich zu verderben. Wenn ich etwa an den gegrillten Lachs denke, den ich neulich…
    Aber egal! Die meisten Leute lesen eine Restaurantkritik sowieso nur aus zwei Gründen: erstens, um die Anschrift eines Restaurants zu erfahren, und zweitens, um sich über seine Preispolitik zu informieren. Es ist die traurige Wahrheit: Kein Mensch interessiert sich dafür, was der Chefkoch des Restaurants X mit einer Hirschlende anstellt oder welche Weine der Sommelier des Restaurants Y neu auf seine Karte gesetzt hat. All diese wundervoll klangvollen Menü-Bezeichnungen auf den Speisekarten– wie » Concassée«, » göttliches Krevetten-Tempura«, » luftige Lobster Bisque« oder » zauberhaftes Dessert aus wilden Birnen«– interessieren letztlich niemanden auch nur die Bohne. Denn Tatsache ist: Der Moskauer geht ins Restaurant, nicht um zu essen, sondern um sich sehen zu lassen.
    Das ist es, was man wissen muss, wenn man sich als Restaurantkritiker versucht. Hat man das erst mal kapiert, läuft alles wie am Schnürchen. Ein Beispiel: Sie möchten einen Überblick über die zurzeit aktuellen Restaurants schreiben. An erster Stelle stehen, wie sich von selber versteht, die bestellten Artikel respektive Besprechungen. Denn diese sind Ihr täglich Brot (beziehungsweise Ihr täglich Whisky). Dann folgen die Besprechungen der Lokale, die Ihnen einen anständigen Rabatt einräumen, beziehungsweise einräumen sollen, das heißt, kurz gesagt, alle Restaurants, die sich innerhalb des Gartenrings befinden.
    Also, man fängt damit an, dass man die Küche der betreffenden Etablissements über den grünen Klee lobt und zwar mit Hilfe der oben angeführten Epitheta. Alle Restaurantkritiker bedienen sich dieses Repertoires und niemand denkt eine Sekunde daran, irgendjemanden des Plagiats zu beschuldigen. Falls Sie sich jedoch in den Ruch der Originalität bringen wollen: Schrecken Sie vor keinem Experiment zurück! Jede Art von Skrupel ist hier fehl am Platz. Das Bistecca alla fiorentina mag luftig sein oder flauschig oder meinetwegen ätherisch wie eine Schäfchenwolke und das Tempura funkelnd wie der Himmel über Antibes, oder auch umgekehrt, egal. Letztlich kommt es einzig und allein auf Ihren auktorialen Blick und den Grad Ihrer freundschaftlichen Beziehung zum Wirt der jeweiligen Lokalität an.
    Wenn das Essen dermaßen miserabel ist, dass man selbst mit Begriffen wie » Fusion-Küche«, » Autorenküche« oder » Eklektische Speisekarte« nicht mehr weiterkommt, geht man unverzüglich zum Design über. Man kann also schreiben, das fragliche Restaurant biete zwar (nur) ein » ordentliches« (sprich: ungenießbares) Risotto, dafür aber eine Lounge, die nach dem Vorbild des Costes in Paris designed wurde. Nun kann es natürlich auch vorkommen, dass sowohl das Essen als auch das Design (nur) » ordentlich« ist. Aber auch das ist kein Problem, dann bietet dieses » echt großstädtische Lokal« seinen Gästen an jedem Weekend erstklassige Unterhaltung mit den besten DJ s der Welt, die direkt aus London, New York oder Ibiza eingeflogen wurden. Natürlich muss man immer damit rechnen, dass ein Lokal weder mit seiner Küche noch beim Interieur Stärken zeigt und auch nicht mit coolen DJ s aufwarten kann. In solchen Fällen empfehle ich, sich auf die Attraktivität des weiblichen Personals zu fokussieren. Die Moskauer Mädchen sind tatsächlich sehr ansehnlich, also kann man damit kaum etwas falsch machen. Wenn aber, schließlich und endlich, eine Lokalität dermaßen unterirdisch ist, dass auch die schönsten Frauen nicht helfen, dann kann man immer noch den » traumhaften Blick aus dem Panoramafenster« besingen, der dem Gast das Gefühl gibt, sich in dem berühmten Café Georges in Paris zu befinden. Das funktioniert im Notfall eigentlich immer. Denken Sie stets daran, dass es in Moskau grundsätzlich keine schlechten Restaurants gibt. Das beweist schon ein Blick auf die Rechnung, die einem am Ende des Aufenthalts präsentiert wird.

Rit a 2 . 0
    » …und dieser Jemand bin natürlich wieder mal ich, verstehst du? In dieser ganzen dummen Werbeagentur gibt es sonst niemanden, der sich mit diesen Idioten von Motorola treffen kann. Ich bin doch nicht dein Zauberstab, hab ich zu Nikiforow gesagt, und wenn denen ihre Chefs…«
    » Deren Chefs…«, sage ich halblaut.
    » Eben, sag ich doch! Wenn deren Bosse unsere Bosse treffen wollen, dann soll er gefälligst selber fahren, verstehst du? Wofür hält