Neonträume: Roman (German Edition)
überhaupt, sie sind absolut spitze! Das Wort » spitze« habe ich vorher noch nie aus ihrem Mund gehört. Das ruft mich ins Leben zurück.
» Los, bezahl schon, wir steigen aus«, sagt Rita.
» Wo willst du hin?«
» Wie wohin? Ins Shanti, natürlich. Wir sind da!«
Im Shanti dudelt Synthie-Pop, die Gäste unterhalten sich lautstark, die Kellner eilen mit ihren Tabletts hin und her, und wir müssen uns zwischen den dichtbesetzen Tischen zur Bar hindurchquetschen. Wie üblich schaue ich mich aufmerksam nach unerwünschten Bekannten um. Unter » unerwünschten« Bekannten verstehe ich in erster Linie meine liebe Lena. Mein Gott, wie mir das zum Hals raushängt! Ich gebe zu, dieses schizophrene Leben bringt mir schon lange keinen Kick mehr. Wie gerne säße ich jetzt mit Katja in einer x-beliebigen, meinetwegen noch so vermieften Bar oder Kneipe! Ah, das wäre super– mit einer Frau zusammen sein, die dir gefällt, und nur an sie denken! Nur sie ansehen und nicht wie sonst blöde in die Gegend glotzen. Man ist ganz entspannt, plaudert über irgendwelchen Unsinn und kümmert sich einen feuchten Puder darum, was man dabei für eine Figur macht, oder ob man so ein Lokal überhaupt aufsuchen sollte oder was deine Bekannten von dir denken, wenn sie sehen, mit wem du zusammen bist…
» Hallo, Andrej!« Es durchzuckt mich wie ein Stromschlag. Ich drehe mich um und sehe den Besitzer des Lokals, Oleg Bazkich. » Wie geht’s? Lange nicht gesehen!« Er lutscht, wie immer, an einer dicken Zigarre und grinst lässig verträumt.
» Alles klar. Und bei dir?« Wir schütteln uns die Hände.
» Bei uns läuft’s gut. Wir haben einen zweiten Saal aufgemacht. Bist du noch beim Beobachter?«
» Klar doch. Rita, darf ich vorstellen? Das ist Oleg.« Ich drehe sie an der Schulter zu uns um. » Oleg, das ist Rita.«
» Angenehm.« Oleg grinst wieder. » Seid ihr allein? Heute Abend spielt hier eine gute Band.«
» Nein, nein, wir sind mit ein paar Freunden hier. Die warten auf uns, wahrscheinlich drüben im anderen Saal.« Ich wende mich an Rita. » Sie sitzen im Teesalon, oder?«
» Sie haben gesagt, da gibt es Tatami-Matten oder so was Ähnliches«, nickt Rita und sieht dabei Oleg interessiert an.
» Ah ja. Also drüben. Na dann, wir sehen uns!« Ich winke Oleg zu und zerre Rita hinter mir her, wobei ich überhaupt nicht kapiere, warum ich es so eilig habe.
» Warum hat er dich denn bloß nach dem Beobachter gefragt und nicht nach deinem Klub?« Rita sieht mich verwundert an.
» Von dem Klub weiß er bisher noch nichts.«
» Das ist aber seltsam. Ihr verkehrt doch in derselben Szene!« Das sagt sie mehr zu sich selbst als zu mir.
Wir kommen in den nächsten Raum. Rita schaut sich um und entdeckt in der dritten Loge ihre Petersburger Bekannten. Im Gang davor liegt ein Häuflein Schuhe: bunte Sneaker, abgeschabte Turnschuhe und anderer Kram. (Es ist hier Usus, die Schuhe auszuziehen, bevor man die Tatami-Matten betritt.) Die Petersburger sind zu fünft oder sechst, auf jeden Fall sind drei davon Frauen. Sofort beginnt ein furchtbares Gekreisch und Geküsse und allgemeines Umarmen. Ich drücke allen die Hand, küsse die Frauen und lasse mich auf einen freien Platz fallen. Rita setzt sich neben mich. Man fängt an, Neuigkeiten auszutauschen, frischt alte Erinnerungen an gemeinsame Kneipenerlebnisse auf, Namen von Bekannten, von Petersburger Klubs und Restaurants fliegen hin und her, kurz: Ich verstehe unterm Strich nur Bahnhof. Ich bestelle Saft aus Orange und Minze, Rita irgendwas anderes. Ein kurzer Blick in die Runde macht mir klar: die typische Pseudo-Boheme. Die Art von Menschen, bei denen ich mich immer frage, wo sie eigentlich herkommen und wohin sie nachher wieder verschwinden. Man weiß nicht, was sie tun, sie sehen nach nichts aus und sind im Grunde, und wenn man ehrlich ist, auch zu nichts nütze. Ihr großes Thema sind die Petersburger » Kultfiguren«.
» Kennst du Punk-Ljowa?«– » Nein, wer ist das?«– » Der ist in Petersburg eine Kultfigur! Das war eine irre Geschichte, als er um drei Uhr morgens im Club Gribojedow mit zwei aufgedonnerten Tussen einfiel, besoffen bis zur Halskrause. Die beiden hatte er natürlich erst zwei Stunden vorher aufgegabelt. Jedenfalls, die wollten ihn da erst gar nicht reinlassen, und er ruft den Besitzer von dem Klub an und sagt: › Ey, hier ist Ljowa, ich stehe mit zwei Fotzen vor der Tür, wir kommen nicht rein!‹ Das ist eine ziemlich typische Geschichte für die ganze
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