Nephilim
schnarrendes Geräusch von sich, ehe er in langen Sätzen davonsprang.
Bhrorok wartete einen Augenblick, genau so lange, bis er die Schwärze Razkanthurs aus seinen Gedanken vertrieben hatte. Dann hob er seinen Mantel vom Boden auf, zog ihn sich über und ging Harkramar in ruhigen Schritten nach.
33
Der Aschemarkt lag verlassen. Nur vereinzelt standen noch die improvisierten Stände der Händler herum, deren Planken, Holzkisten und Bleche im stetigen Wind klapperten. Säuselnd strich er um den Glutbaum in der Mitte der Höhle und trieb die Asche der verbrennenden Blätter in Schwaden über den Platz. Nando wusste, dass die Bewohner der Schatten sich zurzeit an anderen Orten der Unterwelt zusammenfanden, um ihre Märkte abzuhalten, er wusste auch, dass sie an diesen Platz zurückkehren würden, sobald die Engel nicht länger mit so großem Aufgebot in die Schatten hinabstiegen. Und doch schien es ihm, als wäre der Aschemarkt ein Relikt aus lange vergangener Zeit wie ein verlassener Jahrmarkt, auf dem sich das verrostete Riesenrad noch dreht, während die Zirkuspferde auf dem Karussell mit ausgewaschenen Augen ins Leere starren.
»Ein sehr angenehmer Ort«, stellte Kaya fest und warf ihm einen säuerlichen Blick zu. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und schwebte neben seiner Schulter, während sie sehr genau darauf achtete, dass ihr Gesicht jede Nuance der Unzufriedenheit wiedergab, die sich ihrer bemächtigt hatte. »Kannst du mir mal sagen, was wir hier wollen? Du solltest im Bett liegen, hast du verstanden, und nicht hier draußen herumstehen aus Gründen, die du selbst nicht kennst!«
Nando seufzte und drehte gedankenverloren die kleine bronzene Trillerpfeife in seiner Hand. Es war spät am Abend, seine Glieder schmerzten von dem letzten intensiven Training, das er am Nachmittag bei Drengur absolviert hatte, und sein Kopf war schwer von all den Formeln, die er in den vergangenen Tagen seit der Entscheidung des Senats in sein Hirn gepresst hatte. Morgen würde die Prüfung stattfinden. Dann würde Nando beweisen müssen, dass er würdig war, in höherer Magie unterwiesen zu werden. Er spürte die Müdigkeit in seinen Knochen, und er wusste, dass Kaya recht hatte. Er sollte längst im Bett liegen, sich ausruhen und nicht allein auf dem Aschemarkt herumstehen. Ja, er sollte sich sofort in Bewegung setzen und nach Bantoryn zurückkehren – doch er rührte sich nicht. Die Gesichter der Nephilim flammten in ihm auf, er fühlte wieder ihre Hände auf seinen Schultern, als die Entscheidung des Senats gefallen war, und er sah Antonio und Drengur und Morpheus vor sich, ebenso wie Noemi, Riccardo, Ilja und all die anderen, die ihn endgültig als einen der ihren akzeptiert hatten. Lange war er an diesem Abend durch Bantoryns Straßen gelaufen, unruhig und nachdenklich. Auf der einen Seite hoben ihn diese Umstände empor und wärmten ihn im Inneren, doch andererseits war ihm die Stadt auf einmal seltsam beengt erschienen und der Duft des Mohns, der mit samtener Kühle in seine Lunge glitt, hatte ihm das Atmen schwer gemacht. Diese Unruhe war es gewesen, die ihn aus der Stadt getrieben hatte. Gemeinsam mit Kaya, die zunächst außer sich geraten war und alles getan hatte, um ihn zur Umkehr zu bewegen, war er durch die Gänge der Schatten geschlichen, um den Aschemarkt zu erreichen. Nun stand er da, reglos und mit dieser Unruhe im Magen, die ihn kaum atmen ließ, und wartete darauf, dass …
»Du solltest tun, was Antonio dir gesagt hat«, stellte Kaya fest und unterbrach seinen Gedanken. »Oh ja, das solltest du tun. Es wird anstrengend genug werden, wenn du dich der Prüfung stellst, da kann es nicht schaden, einmal richtig auszuschlafen. Und auch wenn ich es dir in den letzten Stunden schon tausendmal gesagt habe: Es ist dir verboten, Bantoryn ohne Erlaubnis von Antonio zu verlassen. Willst du dich doch noch fangen lassen, von Engeln oder Dämonen, ach was, am besten gleich von beiden? Oder willst du von der Prüfung ausgeschlossen werden, jetzt, da du so kurz davorstehst? Du leidest doch wohl nicht unter Prüfungsangst, oder doch? Man könnte meinen, dass du bislang Schlimmeres überstehen musstest als das, aber man weiß ja nie, was … « Empört zog sie die Brauen zusammen. »Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?«
Sie stemmte die Fäuste in die Hüfte, doch Nando sah sie nicht einmal an. Sein Blick ruhte auf einem der Gänge, die ihm schräg gegenüberlagen. Dunkelheit quoll aus ihm hervor, langsam
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