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Nephilim

Nephilim

Titel: Nephilim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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einen Bund bildeten mit allen anderen Verfolgten. Schweigend nickten sie einander zu. Dann öffnete Nando die Tür und verließ das Taxi.
    Bereits während der Übungseinheiten in der Oberwelt war er bisweilen von dem Lärm zusammengefahren, der in der Welt der Menschen herrschte. Doch nun, da er allein hierher zurückgekehrt war, nun, da er sich durch das Metalltor der Autowerkstatt schob und auf die Straße trat, nahm er die menschliche Zivilisation tausendfach verstärkt wahr. Er wurde geblendet von den grellen Lichtern der Leuchtreklamen, erschrak vom donnernden Verkehr und schaute wie träumend in den Nachthimmel, der nie wirklich dunkel wurde und über den Scheinwerfer und Flugzeuge flogen.
    Er wusste, dass Kaya in diesem Augenblick in Gedanken bei ihm war, wusste, dass sie sich vor dem Licht der Menschenwelt fürchtete und dass sie bedeutend lieber in den Schatten geblieben wäre. Aber er war dankbar dafür, dass sie mit ihm durch diese Welt ging, dass sie ihm keine Fragen mehr stellte und dass er ihren Herzschlag durch das Holz seiner Geige hören konnte, als er die ersten Schritte in der Welt tat, die er verlassen hatte.
    Im Schatten der Häuser eilte er vorwärts. Er trug seinen Mantel, den er vorn an der Brust zusammenhielt, um seine ungewöhnliche Kleidung etwas zu verbergen, doch die wenigen Menschen, die ihm begegneten, beachteten ihn nicht. Nur wenn er an einer Kreuzung gezwungenermaßen ins Licht treten musste, trafen ihn ihre Blicke, aber sie glitten von ihm ab wie von einer öligen Schicht, sie drangen nicht tiefer als bis zu seinen schmutzverkrusteten Schuhen und dem Geigenkasten auf seinem Rücken. Und als Nando ihre Blicke fühlte, musste er an Yrphramar denken, daran, wie sein alter Freund auf der Spanischen Treppe gesessen und musiziert hatte, und die Einsamkeit, die Yrphramar ausgestrahlt hatte, legte sich mit kühlen Fingern um seine Schultern. Nando erinnerte sich daran, wie er Morpheus gefragt hatte, ob er eines Tages zurückgehen wollte an die Oberwelt. Morpheus hatte gelacht, herzhaft und nicht ohne Bitterkeit, sein Blick war für einen Moment ins Leere geglitten. Dann hatte er den Kopf geschüttelt, langsam und nachdenklich, und gesagt: Nein, Nando. Wer einmal in die Schatten kam und dort gelebt hat, der ist ein für alle Mal verloren für die Welt der Menschen.
    Nando spürte die Lichter aus den Wohnungen auf seinem Gesicht. Er hatte geglaubt, dass dieser Zustand, von dem Morpheus gesprochen hatte, aus den Betroffenen selbst entsprang, dass es eine Mauer und eine Entscheidung war, die sie selbst errichteten, doch nun wurde ihm bewusst, dass auch die Menschen das Fremde erkannten, das sich unter sie mischen wollte und es nicht konnte. Sie sprachen kein Wort, ihre Blicke spiegelten nichts, als sie Nando betrachteten – und doch sagten sie ihm deutlich, dass er für sie nichts war, nicht einmal ein Obdachloser, dessen Tod kaum mehr als eine kleine Schlagzeile wert war. Er musste an die Fähigkeit der Transparenz denken, jene Gabe, die Antonio ihm in mühevoller Arbeit beigebracht hatte und die dazu diente, bestimmte Zauber und äußere Angriffe durch den eigenen Körper hindurchfließen zu lassen, ohne dass sie größeren Schaden anrichten konnten. Nando war es schwergefallen, diese Fähigkeit auszubilden, und sie konnte auch nur bei sehr wenigen und sehr speziellen Angriffen eingesetzt werden. Und doch fühlte er sich nun, da er lautlos durch die Straßen Roms hastete, genauso wie während seiner Trainingssequenzen. Die Menschen begegneten ihm, sie schauten ihn an – aber sie sahen ihn nicht. Er war einfach nicht mehr da.
    Sein Puls erhöhte sich, je näher er der Wohnung seiner Tante kam, und als er sein Viertel durchquerte und den vertrauten, ein wenig heruntergekommenen Geruch wahrnahm, der seit seiner Kindheit über diesen Gassen lag, da verstummte der Verkehr um ihn herum und er nahm die wenigen Menschen, die ihm begegneten, kaum noch wahr. Mit klopfendem Herzen bog er in seine Straße ein und sah beinahe augenblicklich das erleuchtete Wohnzimmerfenster Maras. Unauffällig schaute er sich um, lauschte, ob Engel oder patrouillierende Ritter der Garde in der Nähe waren, und breitete die Schwingen aus, um über das Dach hinweg in den Hinterhof zu fliegen. Die vertrockneten Blätter der Blumen in den Kästen knisterten leise, als er sich auf dem Balkongeländer seiner Tante niederließ. Er erinnerte sich gut daran, wie sie diese Blumen vor einigen Jahren gepflanzt hatte, um endlich

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