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Nephilim

Nephilim

Titel: Nephilim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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roten Punkt auf goldenem Hintergrund. Keines ihrer eigenen Bilder hatte Mara je aufgehängt. Doch Nandos erster Versuch hing über ihrem Bett, und darunter stand der Titel: Für immer.
    Kaya sog die Luft ein, als Mara die Hand hob, und auch Nando fuhr zusammen, als er sah, wie seine Tante die Finger auf den Türknauf legte. Eine Bewegung bloß, eine flüchtige Regung, und sie würde vor ihm auf dem Balkon stehen. Er rührte sich nicht, doch innerlich wich er vor ihr zurück und wollte im gleichen Moment selbst die Tür öffnen. Nichts, gar nichts wünschte er sich mehr, als sie in die Arme zu nehmen. Doch er wusste, was das bedeutete. Sie würde Fragen stellen, er musste ihr Antworten geben, und jedes Wort, das sie wechselten, jeder Funke an Wissen, den Mara über die Welt der Schatten gewann, brachte sie in Gefahr. Er kannte sie gut genug, um sich darüber klar zu sein, dass sie ihn nicht wieder gehen lassen würde, wenn diese Tür sich öffnete, und er musste gehen – er musste zurückkehren in die Unterwelt.
    Er sah sie an, und als hätte sie seine Gedanken wahrgenommen, nahm sie die Hand von der Klinke. Sie öffnete die Tür nicht. Vielleicht hatte sie seine Gedanken tatsächlich gehört, vielleicht hatte sie Angst vor dem, was dahinter liegen könnte – Angst davor, dass er nicht da wäre. Stattdessen legte sie die Finger auf das Glas der Tür. So stand sie da, die Hand wie zum Gruß erhoben, und Nando zögerte nicht. Langsam hob er die Hand, seine metallene Menschenhand, und legte sie von der anderen Seite dagegen. Mara wandte nicht den Blick. Forschend schaute sie in die Dunkelheit ihrer eigenen Pupillen, und vielleicht sah sie Nandos Gesicht, denn Tränen sammelten sich in ihren Augen, und Nando merkte, dass ihr das ruhige Atmen schwerfiel. Er lächelte, als könnte sie diese Regung sehen, und er wusste, dass sie den Wärmeschauer spürte, den er ihr in diesem Moment schickte. Dann wandte er sich ab, breitete die Schwingen aus und erhob sich in die Nacht.
    Kaya musste sich mit aller Kraft an seiner Schulter festhalten, so schnell raste er dahin, aber er hatte das Gefühl, zerspringen zu müssen, wenn er dem Druck in seinem Inneren nicht nachgab. Es war ihm schwergefallen, so unendlich schwer, nicht zu Mara ins Licht treten zu können, und er wusste, dass er es getan hätte, wäre er nur einen Augenblick länger geblieben.
    Die Kälte der Nacht strich über seine Wangen, und gerade als er beschlossen hatte, den gefährlichen Luftraum über der Stadt zu verlassen und in die Schatten der Straßen zurückzukehren, fiel sein Blick auf den Tiber, der als seidiggrünes Band durch Rom dahinglitt. Ein Lächeln flog über sein Gesicht, als er daran dachte, wie viele Abende er gemeinsam mit Luca an diesem Fluss verbracht hatte, und als ihm ihr Erlebnis mit den Carabinieri einfiel, die lieber ihre Lachse verkostet hatten, als ihnen nachzulaufen und sie für unerlaubtes Grillen zu belangen.
    Schwingenrauschend landete Nando auf dem Stückchen Ufer, auf dem er früher so viel Zeit mit Luca verbracht hatte, und ließ sich auf dem breiten Stein nieder, der direkt am Wasser lag. Er hätte gern auf der Geige gespielt, um den Gefühlen Ausdruck zu verleihen, die ihn in diesem Augenblick aufwühlten, doch er wagte es nicht. Es war schon leichtsinnig genug gewesen, über die Dächer Roms hinwegzufliegen, da musste er die Engel nicht durch Musik auf seine Fährte locken. Vermutlich war es ohnehin nichts als Glück gewesen, dass er ihnen bislang entkommen war, und …
    Ein leises Scharren hinter ihm unterbrach seine Gedanken. Augenblicklich huschte Kaya in die Geige – Nando hatte ihr bereits vor einiger Zeit das Einverständnis abgenommen, bei möglichen Kämpfen den Kopf aus der Schusslinie zu bringen – , während er selbst dasaß wie erstarrt. Lautlos sandte er einen Betäubungszauber in seine linke Faust und setzte das Metall in schwarze Flammen. Der Engel, der es wagte, sich hinterrücks anzuschleichen, würde die nächsten Tage brauchen, um aus der Ohnmacht zu erwachen, in die Nando ihn schicken würde, so viel war sicher. Wieder hörte er das Knirschen, jeder Muskel seines Körpers spannte sich an. Noch ein wenig näher, dann würde er …
    »Nando?«
    Er schrak so heftig zusammen, dass er seinen Zauber beinahe mitten auf den Tiber geschleudert hätte. Im letzten Moment entkräftete er ihn, fuhr herum – und erstarrte. Eine Gestalt schob sich aus den Schatten, eine kleine, schmächtige Gestalt in einem zerknitterten

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