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Nephilim

Nephilim

Titel: Nephilim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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Anzug, eine Gestalt mit wirren braunen Locken und einem vorsichtigen Lächeln.
    »Luca!«
    Für einen kurzen Moment standen sie sich gegenüber, den Blick forschend auf dem Gesicht des anderen. Luca betrachtete die fremdartige Kleidung, die Geige auf Nandos Rücken und die metallenen Streben in dessen Hand. Nando sah das Erstaunen in den Augen seines besten Freundes, und er glaubte für einen Moment, dass Luca sich abwenden und davonlaufen würde. Doch da breitete sich ein Grinsen auf dessen Gesicht aus, und im selben Augenblick stürzten sie vor und fielen einander in die Arme. Lachend begannen sie, aufeinander einzureden, sich Fragen zu stellen, die sie in den vergangenen Wochen mit sich herumgetragen hatten, ohne sie loswerden zu können, und als sie merkten, dass sie einander dieselben Fragen gestellt hatten, lachten sie noch mehr. Nando dachte nicht mehr an die Engel, nicht an die bevorstehende Prüfung, nicht an Bhrorok oder den Teufel. Alles, was jetzt zählte, war sein bester Freund und die Tatsache, dass er mit einem Schlag wieder sechs Jahre alt sein konnte, solange Luca nur da war.
    Sie setzten sich nebeneinander auf ihren Stein, Nando erfuhr, dass es Giovanni und Mara den Umständen entsprechend gut ging, dass sie ihn vermissten und pausenlos von ihm sprachen und sich nebenher stritten wie eh und je. Luca erzählte in knappen Worten, dass er mit seiner Ausbildung begonnen und dass ihn an diesem Abend wie so oft in den Wochen zuvor ein unbestimmtes Gefühl zum Tiber hinausgetrieben hatte. Und dann war Nando da gewesen, wie ein Wunder. Sie lachten, und als Luca ihn fragte, wo er gewesen sei, da fing Nando an zu erzählen. Er wusste, dass es streng untersagt war, einem Menschen von der Schattenwelt zu berichten, aber in diesem Moment brach alles aus ihm heraus, was er in den vergangenen Wochen erlebt hatte. Er erzählte Luca alles, angefangen von Yrphramars Tod über seine Ankunft und Ausbildung in Bantoryn bis hin zu seinem Verfolger Bhrorok und der Prüfung, die er in wenigen Stunden ablegen würde, um sich von ihm zu befreien. Auch von den Engeln erzählte er, von Antonio, Morpheus und Drengur und von den anderen Nephilim, von Noemi, Riccardo und Ilja, aber auch von Paolo, von Salados, vom Duft des Mohns und dem Nebel der Ovo. Er berichtete von den stählernen Brücken Bantoryns, vom Aschemarkt und den Bewohnern der Schattenwelt, und als er schließlich endete, sah Luca ihn mit sehnsüchtigen Augen und einem Lächeln auf den Lippen an, als hätte er gerade einem der Geschichtenerzähler auf der Piazza Navona zugehört.
    Beeindruckt deutete Luca auf seine metallene Hand und grinste. »Ein bißchen Anakin Skywalker, nicht wahr?«, fragte er, zeigte sich aber beeindruckt, als Nando aus seiner Faust eine kleine Rauchrakete ins Unterholz schleuderte. Luca legte nachdenklich den Kopf schief. »Das klingt wie ein Märchen«, sagte er. »Wie ein düsteres Märchen zwar, aber … der Sohn des Teufels, Nando! Ich kann es kaum glauben.«
    Nando seufzte. »Ich habe es anfangs auch nicht glauben wollen. Aber dann … Nun ja.« Lautlos brachte er den Zauber über die Lippen, sodass Luca seine Schwingen sehen konnte. Atemlos riss sein Freund die Augen auf wie ein kleines Kind beim Anblick einer Fee. Fasziniert strich er über Nandos Flügel und ließ sich nur mit dem Hinweis auf die Engel von der Bitte abbringen, dass Nando eine Runde über dem Tiber drehen sollte.
    Sie saßen lange zusammen, erzählten einander und hörten sich zu, und wenn Nando nicht hin und wieder einen Blick auf seinen metallenen Arm geworfen oder das Gewicht seiner Schwingen gespürt hätte, dann hätte er vielleicht vergessen, dass er kein Mensch mehr war, sondern ein Nephilim, der in die Schatten gehörte und nicht länger ins Licht dieser Welt. Luca hingegen betrachtete ihn in keinem Augenblick anders als früher, vielleicht abgesehen von der Bewunderung und Faszination, wenn er über das samtene Schwarz der Schwingen strich oder sich die Tricks von Nandos linkem Arm erklären ließ. Es war, als wäre er niemals fort gewesen, als hätten sie die vergangenen Monate einfach ausgelassen und könnten nun dort weitermachen, wo sie aufgehört hatten: bei der Freundschaft, die sie miteinander verband. Nando musste lächeln, als er daran dachte, wie er noch vor Kurzem angenommen hatte, dass sich alles änderte. Vielleicht traf das zu. Aber dennoch gab es Dinge, die dem entsprachen, was unter dem Bild stand, das er einst für seine Tante gemalt hatte:

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