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Nephilim

Nephilim

Titel: Nephilim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
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Käfer über den Grund und taten sich an den Mineralien gütlich.
    Je näher sie der Stadt kamen, desto deutlicher erkannte Nando, dass sie zwischen den fünf steinernen Drachenklauen von einer schwarzen Wehrmauer umgeben war. Das schwere, steinerne Tor stand offen, und als sie die breite, kopfsteingepflasterte Straße mit den zu beiden Seiten sich erhebenden Häusern betraten, die sich innig aneinanderschmiegten, fühlte Nando ein seltsames Ziehen in der Brust, so als hätte er das alles schon einmal gesehen, als wäre er schon einmal an diesem Ort gewesen, in einem früheren Leben vielleicht oder eher noch in seinen Träumen. Der tiefrote Blütenstaub des Schlafmohns trieb mit dem Wind über die Straße und hüllte die Stadt in diesen schwermütigen Duft, der Nando an seine erste Begegnung mit Antonio damals im Obolus erinnerte. Damals? Sie war kaum einen Tag her. Nando schüttelte den Kopf über sich selbst, doch das Wort Olvryons klang in ihm wider, jenes Wort, das der Ovo zu ihm gesprochen hatte: He’vechray .
    Er lief neben Antonio die Straße hinauf, ließ den Blick staunend über die kunstvoll verzierten metallenen Türen der Häuser schweifen und betrachtete interessiert die Passanten, die ihnen begegneten. Sie musterten Nando mit teils neugierigen, teils misstrauischen Blicken, während sie vor Antonio in Achtung leicht den Kopf neigten. Die Nephilim unterschieden sich kaum von den Menschen, die man in einer kühlen Frühlingsnacht auf den Straßen Roms sehen konnte, wenn man von ihren Schwingen und ihrer besonderen Kleidung einmal absah. Wie die Besucher auf dem Aschemarkt trugen auch die Bewohner Bantoryns die Mode lang vergangener Jahrhunderte, und auch sie kombinierten diesen Stil mit futuristischen Elementen wie den obligatorischen Schweißerbrillen oder kunstvoll gearbeiteten Waffen, die Nando am Stand des rotgesichtigen Händlers bewundert hatte. Auch einzelne Kinder liefen durch die Gassen, und obgleich ihre Haut ungewöhnlich bleich war und ihnen Flügel aus dem Rücken wuchsen, bemerkte Nando kaum einen Unterschied zu spielenden Menschenkindern.
    Nando warf Antonio einen Blick zu. »Leben viele Nephilim wie ich in dieser Stadt? Ich meine – Nephilim aus der Oberwelt?«
    »Die meisten Bewohner Bantoryns wurden in den Schatten geboren. Früher gab es noch mehr Nephilim, die sich für Menschen hielten, bis sie eines Tages ihre Kräfte entdeckten und hier herunter kamen, doch nun … « Antonio schüttelte den Kopf, ein Schatten huschte über sein Gesicht. »Die Zeiten ändern sich. Die Welt der Menschen lässt wenig Raum zur Entfaltung der eigenen Fähigkeiten, und die Kraft eines Nephilim muss stark sein, um sich dennoch durchzusetzen.«
    »Und wenn sie nicht stark genug ist?«, fragte Nando. »Werden die Nephilim dann nie erfahren, dass sie anders sind?«
    »Doch«, erwiderte Antonio wie in Gedanken. »Das werden sie. Aber sie können sich nicht erklären, was sie sind. Und sie werden immer heimatlos sein in einer Welt, die nicht für sie bestimmt ist – einer Welt, die schon sehr bald auch den Menschen keine Heimat mehr sein wird.«
    Nando zog die Brauen zusammen. »Was meinst du damit?«
    Antonio erwiderte seinen Blick nicht, und doch glaubte Nando für einen Moment, dass der Engel ihm antworten würde. Aber dann schüttelte Antonio den Kopf, langsam und schwerfällig, als wäre er ein sehr alter Mann. »Eines Tages«, erwiderte er mit heiserer Stimme, »wirst du das selbst herausfinden, wenn du es wissen willst. Es gibt Dinge, die man erfahren muss, um sie zu begreifen.«
    Nando hatte schon den Mund geöffnet, um etwas zu entgegnen, als er den Schatten in Antonios Blick bemerkte – eine Trübung des goldenen Lichts, das um die Pupillen des Engels spielte und das es ihm unmöglich machte, seine Worte auszusprechen. In diesem Moment spürte Nando zum ersten Mal, dass Antonio ihm ein Rätsel war und dass er, obgleich Nando nicht alles von dem verstand, was er sagte, dennoch recht hatte. Und Nando glaubte ihm, ja, er glaubte dem Engel jedes Wort, das er sprach.
    Straßenlaternen säumten ihren Weg, die durch ihr verhangenes, blassgoldenes Licht eine nächtliche Atmosphäre schufen und Nando an die Gaslichter früherer Zeiten erinnerten. Vereinzelt schwebten in metallenen Streben eingefasste Glaszylinder vor den Häuserfassaden, ohne jegliche Verbindung zum Boden oder zur Wand, und nicht nur einmal bemerkte Nando eine Vibration in der Luft, die sich wie ein elektrischer Impuls auf seine Haut

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