Nephilim
betreiben für einen einfachen Tellerwäscher.«
Nando hörte den Spott in Antonios Stimme, doch in den Augen des Engels lag ein Schimmer, der wie ein Flügelschlag über die Kälte auf Nandos Rücken strich und ihn lächeln ließ.
Da durchdrang ein Scharren die Stille, und Nando fuhr zusammen. Schemenhaft trat eine Gestalt in das Rund des Theaters, den Kopf tief geneigt, den Körper mit den grauen Schwingen in eine lange Kutte gehüllt. Nando konnte das Gesicht des Senators nicht genau erkennen, aber er wusste, dass er beobachtet wurde, reglos und kühl. Nach und nach kamen immer mehr Senatoren, bis einige Reihen des Amphitheaters besetzt waren. Nando spürte ihre Blicke prüfend und durchdringend auf seinem Gesicht, und obwohl er am liebsten jeden Einzelnen neugierig gemustert hätte, hielt er den Kopf gesenkt und schaute auf den grünen Stein zu seinen Füßen.
Schließlich trat Antonio vor. Leises Gemurmel erklang, und Nando hob den Kopf. Die Anwesenden schauten teils argwöhnisch, teils neugierig zu ihm herab, und er bemerkte einen hageren, glatzköpfigen Senator, der in einem Rollstuhl nahe dem Eingang saß und freundlich zu ihm herüberschaute. Sein Gefährt bestand aus Holz und Metall, doch über seinem Kopf hing eine Kapsel Laskantin, ein gläsernes Gefäß mit blassrotem Licht, das über mehrere Kabel mit dem Sitz verbunden war. Der Mann hatte keine Flügel, er sah – abgesehen von seinem merkwürdigen Rollstuhl – aus wie ein gewöhnlicher Mensch. Er neigte kaum merklich den Kopf, ein flüchtiges Lächeln huschte über seine Lippen und verlieh seinem Gesicht den schalkhaften Ausdruck eines Kobolds, der lieber Streiche und andere Teufeleien aushecken würde, als in einem staubigen Theater herumzusitzen. Nando erwiderte das Lächeln zaghaft.
»Senatoren Bantoryns«, begrüßte Antonio die Anwesenden und breitete die Arme aus. »Hüter der Gemeinschaft und Krieger der Schatten! Ich ließ euch rufen, da ich einen Nephilim in unsere Reihen aufzunehmen gedenke, einen Suchenden und Heimatlosen, der unsere Hilfe braucht und unseren Schutz. Er … «
»… ist kein gewöhnlicher Nephilim!«, rief ein Senator mit dichtem schwarzen Haar und dunklen Augen, der in der ersten Reihe Platz genommen hatte. Unter seiner Kutte trug er eine weite Leinenhose, und sein freier Oberkörper zeigte ohne jeden Zweifel, dass er ein Krieger war. Mehrere Narben von Messerstichen und Schwertstreichen zierten seine muskulöse Brust, und an einem Gürtel um seine Hüfte hing ein silberner Dolch. Mit unverhohlenem Zorn sah er Nando an. »Wir wissen, was auf dem Aschemarkt passiert ist, wir wissen auch, warum die Engel in Scharen durch die Brak’ Az’ghur jagen, als hätte jemand mit einer brennenden Lanze in ihren Bau gestochen. Sie sind auf der Jagd nach mehr als einem Jungen, der Zuflucht sucht! Sie jagen den Sohn des Teufels!«
Ein Raunen ging durch die Reihen, als giftige Welle brandete es zu Nando herab, und er zog die Arme um den Körper.
»Du hast recht, Salados«, erwiderte Antonio so ruhig, als würde er einer Einladung zum Essen folgen. »Ungeachtet dessen, dass du mir jedem Anstand zum Trotz ins Wort gefallen bist, hast du die Wahrheit erkannt: Dieser Junge ist kein gewöhnlicher Nephilim. Er trägt die Macht des Teufels in sich, jene Kraft, die den Leibhaftigen aus seinen Ketten befreien kann und … «
Salados stieß ein eiskaltes Lachen aus. »Jene Kraft, mit der wir bereits Bekanntschaft machen durften«, rief er, und lautes Gemurmel flutete die Reihen. Salados schaute in kalter Verachtung auf Nando herab. »Hast du vergessen, was geschehen ist, als wir das letzte Mal einen Teufelssohn in diese Stadt aufnahmen? Er ist dem Fürsten der Hölle verfallen, als Besessener ist er durch Bantoryns Gassen gerast! Hast du die Feuersbrunst vergessen, die er über uns gebracht hat und die unzählige Nephilim in den Tod riss? Es war, als wäre der Teufel selbst in die Stadt gekommen! Gerade du solltest es besser wissen, Antonio, du, der ihn zur Strecke brachte!«
Erschrocken sah Nando Antonio an, der reglos wie eine Statue dastand. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, er wollte vor dem Engel zurückweichen, aber sein Körper gehorchte ihm nicht. Er hatte geglaubt, dass der einstige Teufelssohn von den Engeln getötet worden war, niemals hätte er damit gerechnet, dass ausgerechnet Antonio die Hand gegen ihn erhoben und ihm den Tod gebracht hatte.
Da wandte der Engel den Blick und sah Nando direkt an. Flammen loderten in
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