Nephilim
immer zum Kampf erhoben, und die Lichter in seinen Augen erloschen, als würde er in tiefen Schlaf sinken.
Erleichtert stieß Nando die Luft aus. Um ihn herum brach der Tumult aus, alle redeten durcheinander, und er sah mit einem Lächeln, wie sich die Lehrer wild gestikulierend auf Morpheus stürzten, der ihre Worte entschieden zurückwarf.
Nando legte den Kopf in den Nacken und sah die Sterne aus Feuer und Eis über sich. Er stellte sich vor, dass er mit Freunden zusammensaß, dass die Nephilim um ihn herum ihn nicht nur für diesen einen flüchtigen Augenblick, in dem sie ihn schlichtweg vergessen hatten, nicht mit Kälte bedachten, sondern überhaupt nie wieder. Er stellte sich vor, wie es wäre, wenn er in der Schattenwelt tatsächlich das finden würde, was Olvryon ihm gesagt hatte: eine Heimat. Hatte er nicht zeit seines Lebens in der Oberwelt nach einem solchen Ort gesucht? Und war er nicht hier unten, jenseits des Lichts, unter seinesgleichen? Diese Gedanken gingen ihm durch den Kopf, und ein Gefühl der Wärme breitete sich in ihm aus. Hatte er nicht die Möglichkeit, in der Stadt der Helden heimisch zu werden, selbst wenn er kein Held war? Er wandte den Blick, denn er spürte, dass ihn jemand ansah. Um ihn herum tobte die Arena, alle Nephilim riefen durcheinander, sie sprangen über die Reihen und ließen ihrer Anspannung, die sie während der Kämpfe angestaut hatten, freien Lauf. Nur einen weiteren reglosen Punkt gab es mit Ausnahme von Nando selbst. Er befand sich schräg gegenüber von ihm und fixierte ihn mit eiskaltem Ausdruck in den Augen.
Nando erwiderte Noemis Blick regungslos. Mochte sie ihn hassen, mochte sie alle Engel der Welt bezwingen, während er nicht einmal ein Schwert halten konnte – er würde nicht den Kopf vor ihr neigen, solange sie ihn nicht als ihresgleichen akzeptierte. Heute hatte Noemi ihm gezeigt, was er können musste, um gegen einen Engel wie Avartos oder einen Dämon wie Bhrorok zu bestehen, und er würde sich nicht davon abbringen lassen, dieses Ziel zu erreichen. Denn Silas hatte recht: Bantoryn war ein Ort des ungebrochenen Willens – und von nun an war er ein Teil dieser Stadt.
14
Die Stadt lag schlafend, doch die Herztöne der Menschen pulsten durch das Mauerwerk ihrer Behausungen und stachen wie schrille Schreie in Bhroroks Ohren. Seine Schritte klangen dumpf auf dem Pflaster der Gassen, und er nahm den Geruch von ranziger Butter und verfaultem Obst wahr, der süßlich und schwer aus den Mülltonnen drang. Diese Stadt war ein Geschwür mit all ihrem Dreck, ihren eitrigen Auswüchsen und juckenden Ekzemen, und Bhrorok fiel es schwer, nicht die Hände auszustrecken und sie tief in das vermodernde Fleisch einer toten Katze zu graben, die am Straßenrand lag. Ja, diese Stadt war ein Moloch wie jede Stadt der Menschen, wie geschaffen für alle Arten von Parasiten. Vielleicht begann er aus diesem Grund, sich in ihr wohlzufühlen. Er bohrte sich die Nägel ins Fleisch und drängte den Hunger an den Rand seines Bewusstseins zurück, wo er sich grollend zusammenrollte und ihn aus schwarzen Augen anstarrte. Bhrorok verschloss sich vor den lockenden Gerüchen der Stadt. Er hatte keine Zeit für seine Gier.
Sein Wolf lief neben ihm, die Nase stets nur ein kleines Stück weit über dem Boden, und schaute immer wieder aus den Augenwinkeln zu jener Gestalt hinüber, die sie führte. Die Kreatur huschte schattengleich am Rand der Gasse entlang, unnatürlich dürr und geduckt, dass sie beinahe aussah wie ein sehr alter Mensch. Doch ihre Bewegungen passten nicht zu ihrem gebrechlichen Äußeren. Fließend waren sie und vollkommen lautlos, als würden die Glieder eines Scherenschnitts zerreißen und sich gleich darauf zu neuer, unheilvoller Figur zusammensetzen. Nur hin und wieder sah Bhrorok im Schein einer Straßenlaterne messerscharfe Klauen aus den zerfransten Ärmeln der schwarzen Kutte ragen, deren Kapuze der Gestalt bis weit ins Gesicht hing. Ansonsten verschmolz sein Begleiter mit den Schatten der Stadt, als wäre er ein Teil davon. Erst als sie die Straßen verließen und in das finstere Dickicht der Villa Ada eintauchten, hörte Bhrorok das leise Rascheln der Zweige, die im Unterholz über den Körper der Kreatur hinstrichen.
Er selbst konnte sich Angenehmeres vorstellen, als in der verfluchten Natur herumzulaufen. Knisternde Insektenleiber schoben sich hinter den Rinden der Bäume entlang, er fühlte ihre Panzer unter seinen Füßen zerbrechen und hörte sie
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