Nephilim
schnarrend näher kriechen wie Motten, die das tödliche Licht einer Kerze suchten.
»Herr«, flüsterte eine widerwärtig untertänige Stimme und ließ Bhrorok halb den Blick zu seinem Begleiter wenden, der stehen geblieben war. Zwei blassgelbe Pupillen glommen in der Dunkelheit der Kapuze auf und erhellten für einen winzigen Moment das hautlose Fleisch rings um die Augen. »Ist nicht mehr weit jetzt«, fuhr die Gestalt fort, die Stimme aus dem Dunkel schickend wie einen Fluch. »Ich fühle sie schon, die Ströme aus Silber und tanzendem Licht, fühle, wie sie meine Haut verbrennen bis tief hinein zu dem, was andere Herz nennen. Fühlt Ihr sie auch? Sie gleiten durch die Luft wie lockende Geister, sie … «
Bhrorok neigte kaum merklich den Kopf und brachte sein Gegenüber zum Verstummen. »Ich höre deinen versagenden Herzschlag«, erwiderte er grollend. »Ich fühle das Zittern der Luft von deinem stockenden Atem, und ich rieche den sauren Gestank der Furcht auf deinem Fleisch Aber sie nehme ich nicht wahr. Deswegen sollst du mich führen.«
Das Wesen holte röchelnd Luft, als hätte Bhrorok ihm soeben die Kehle zugedrückt und nun seinen Griff gelockert. »Ich weiß, Herr«, beeilte es sich zu sagen, nickte eifrig und setzte seinen Weg fort, während es leise weitersprach. Die frische Luft schien seine Zunge noch stärker zu lockern als die Finsternisse der Höhle, in der Bhrorok sein Feuer bewachte. »Habt mich aus den Gängen Or’loks geholt, aus Or’lok, unserer Stadt – dem Heim für uns, die Dämonen ohne Hölle, nicht wahr?« Die Kreatur lachte keuchend. »Ihr habt mich gerufen, nicht umsonst, nein, sicher nicht. Ich finde sie alle. Angelos … « Das letzte Wort kroch flüsternd über seine Lippen und säuselte um die Bäume, als wäre es ein eigenständiges Wesen mit Verstand.
Bhrorok schlug gegen einen Ast über dem Kopf des Wesens und brachte ihn mit lautem Getöse zu Fall. Nur knapp konnte sein Begleiter dem Schlag entkommen. Hastig sprang er zur Seite und hustete erschrocken.
»Still!«, mahnte er, und seine Stimme vibrierte vor Anspannung. »Wird uns hören, er, den wir suchen! Ist kein gewöhnlicher, versteht Ihr, Herr? Gehört zu … den Thronen!«
Beinahe ehrfürchtig sprach die Kreatur diesen Namen aus. Bhrorok ballte die Fäuste, denn allein der Name schnitt ihm ins Fleisch und pflanzte ein verächtliches Lachen in seine Kehle, das ihm wehtat – ihm, der keinen Schmerz kannte. Sie versteckten sich in ihren Löchern, diese Maden des Lichts, aber sie waren schwach, und er – er würde sie finden.
»Die Throne«, flüsterte die Gestalt in den Schatten. »Einst Engel der ersten Hierarchie. Sie bildeten den dritten Chor, so heißt es. Mitunter werden sie Ophanim genannt, Räder auf Hebräisch, und manche sagen, sie würden als flammende Räder der Merkaba erscheinen, des Lichtwagens Gottes, mit unzähligen Augen und Flügeln. Niemand weiß, wie viele Throne es noch gibt auf der Welt – doch es sind wenige, sehr wenige. Denn keine andere Art der Engel sehnt sich so stark ins Himmelreich zurück wie sie. Sie sind die Sehnsucht, sagen die Geschichten ihres Volkes, sie sind – die Hoffnung.«
Bhrorok stieß die Faust vor, um seinen Begleiter an der Kehle zu packen, doch dieser duckte sich im letzten Moment und eilte ein Stück voraus. Japsend blieb er hinter einem Gestrüpp stehen. Bhrorok hatte gerade beschlossen, ihm mit einer geschickten Drehung seines Daumens die Augen aus den Höhlen zu quetschen für die Unverschämtheit, derartige Worte in seiner Gegenwart in den Mund zu nehmen, als die Kreatur den Arm ausstreckte und in eine Richtung zeigte. Bhrorok wandte den Blick und erkannte, dass hinter den Bäumen nicht weit von ihnen entfernt das dunkle Wasser eines Sees lag. Doch kaum dass er den See bemerkt hatte, strömten rötliche Schleier über die kaum sichtbaren Wellen. Bhrorok spürte ihre Energie wie Stromstöße auf seiner Haut.
»Laskantin«, raunte er, und die Kreatur nickte ehrerbietig.
»Gibt überall Orte wie diesen in der Stadt«, flüsterte sie, während sie sich mit Bhrorok weiter an den See heranschlich. »Orte, wo diese Kraft sich sammelt, Orte, an denen sie abrufbar ist wie hier, besondere Orte, an denen die Geschichte der Menschen so tiefe Kerben ins Angesicht der Welt geschlagen hat, dass sie diese Energie anzieht und in sich speichert. Besonders die Throne sehnen sich nach Laskantin, denn sie glauben, dass darin die wahre Kraft des Schöpfers läge – jene Kraft,
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